Zwischen Neckar und Alb

Der Hausarzt dient als Lotse

Gesundheit Seit gut einem Jahrzehnt bietet die AOK im Landkreis das Modell der hausarztzentrierten Versorgung an. Jetzt ziehen Krankenkasse und Ärzte eine positive Bilanz. Von Dagmar Weinberg

Der Hausarzt behandelt nicht nur - er führt den Patienten auch durch das Gesundheitssystem.
Der Hausarzt behandelt nicht nur - er führt den Patienten auch durch das Gesundheitssystem. Archiv-Foto: Jörg Bächle

Seit gut zehn Jahren behandelt der Ostfilderner Hausarzt Rainer Graneis nicht nur seine Patienten. Er lotst sie auch durch das Gesundheitssystem. Der Allgemeinmediziner, der Vorsitzender der Kreisärzteschaft ist, war der erste Arzt im Landkreis Esslingen, der 2008 in das von der AOK Neckar-Fils initiierte Modell „Hausarztzentrierte Versorgung“ (HZV) eingestiegen ist.

Bereut hat er hat diesen Schritt nicht. „Es hat sich gezeigt, dass wir dadurch unnötige Überweisungen und Einweisungen in Kliniken vermeiden können. Und auch unsere Arbeitsbedingungen haben sich verbessert“, schildert der Hausarzt und Vorsitzende des Berufsverbands „Medi“ bei einem Pressegespräch der AOK. Durch den bundesweit ersten Hausarztvertrag, den die AOK vor gut zehn Jahren mit dem Hausärzteverband und „Medi“ in Baden-Württemberg geschlossen hat, wollte man die ärztliche Versorgung „auf andere Beine stellen“, erklärt Johannes Bauernfeind, Geschäftsführer der AOK-Bezirksdirektion Neckar-Fils.

Für ein Jahr gebunden

Der Hausarzt fungiert als erste Anlaufstelle, koordiniert sämtliche Behandlungsschritte und nimmt somit die Funktion eines Lotsen wahr. Zum einen soll der Patient dadurch besser versorgt, zum anderen sollen Kosten gespart werden. „Wir wollen das System entlasten und bei den Ärzten Kapazitäten freischaufeln.“ Und die Erwartungen haben sich erfüllt, auch pekuniär. „Jeder Euro, den wir einsparen, kommt aber den Hausärzten sowie der Erweiterung des Leistungsspektrums für die Patienten zugute“, stellt der AOK-Geschäftsführer klar.

Das Programm, das für Patienten freiwillig und kostenlos ist, war zunächst mit „wenigen Versicherten gestartet“, erläutert Otto Bauer, Leiter des Arztpartner-Service der AOK Neckar-Fils. Inzwischen haben sich im Kreis Esslingen rund 220 000 AOK-Versicherte für diese Variante der ärztlichen Versorgung entschieden. Auch bei Haus- und Kinderärzten sowie Fachärzten habe sich die „alternative Regelversorgung fest etabliert“.

Neben 244 Haus- und Kinderärzten nehmen 130 Fachärzte an der HZV teil. Entscheidet sich ein Versicherter für die HZV, „dann ist er für mindestens zwölf Monate an den Hausarzt gebunden“, erklärt Johannes Bauernfeind. Der Versicherte verpflichtet sich, Fachärzte nur auf Überweisung seines HZV-Arztes zu konsultieren. Diese feste Bindung „ist nicht für jeden was“, räumt der Geschäftsführer ein. „Denn es gibt Menschen, die das nicht wollen oder brauchen“ - zum Beispiel, weil sie eher selten zum Arzt gehen.

Patienten mit hohem Behandlungsbedarf schätzten die HZV hingegen. „Ab einem Alter von ungefähr 40 Jahren werden die Einschreibungen immer höher“, weiß Otto Bauer. Die Ärzte, die an dem Programm teilnehmen, „werden leistungsgerecht vergütet und unterliegen keinen Budgetierungen“, sagt Johannes Bauernfeind. Gegenüber der Regelversorgung bedeute dies ein Honorarplus von bis zu 30 Prozent. Zudem erspare man ihnen Bürokratie. „Die Abrechnungen sind wirklich deutlich einfacher“, bestätigt Rainer Graneis. „Für einen Arzt ist es attraktiver, Patienten aufzunehmen, die sich für die HZV entscheiden“ - nicht zuletzt deshalb, weil die Ärzte durch „Verahs“ entlastet werden.

Hinter dieser Abkürzung verbergen sich Versorgungsassistenten in der Hausarztpraxis. Sie machen Hausbesuche und betreuen vor allem chronisch Kranke. „Wenn sie Auffälligkeiten feststellen, konsultieren sie sofort den Arzt“, erklärt Bauernfeind, für den die HZV geeignet ist, dem Praxissterben im ländlichen Raum zu begegnen. „Da ein hoher Anteil an HZV-Patienten höhere Erträge bringt und somit den Wert einer Praxis steigert, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer Praxisübernahme.“