Zwischen Neckar und Alb

Der Kampf gegen die Hoffnung

Asyl Der Landkreis versucht seit Oktober vorigen Jahres Geflüchtete ohne Bleibeperspektive zur freiwilligen Rückkehr zu bewegen. Die Erfolgsbilanz ist dürftig. Von Bernd Köble

Sie haben Hunger, Durst und Kälte auf sich genommen, ihr Erspartes drangegeben und sind nicht selten auf ihrer langen Reise dem Tod von der Schippe gesprungen. Doch nicht einmal jeder Zweite, der in den vergangenen Jahren im Kreis Esslingen Zuflucht suchte, hat die Chance, auch wirklich bleiben zu dürfen. Im Gegenteil: Obwohl die Zuwanderungszahlen drastisch eingebrochen sind, stieg prozentual die Zahl der Menschen ohne Chance auf Asyl. Im Mai dieses Jahres lag sie bei rund 70 Prozent. Im Vorjahr war es noch etwa die Hälfte.

Bund und Länder setzen deshalb verstärkt auf Einsicht, indem sie seit vergangenem Jahr in den Landratsämtern und Rathäusern Beratungsstellen unterstützen, die abgelehnten Asylbewerbern die freiwillige Ausreise schmackhaft machen soll. In der Esslinger Kreisbehörde gibt es diese Stelle seit Oktober. Ein erster Lagebericht, der auf Wunsch der CDU-Fraktion gestern im Sozialausschuss vorgelegt wurde, zeigt: Die Erfolgsbilanz fällt dürftig aus. Bis zum Jahresende nahmen 99 Personen das Angebot an, mit staatlicher Hilfe in ihr Heimatland zurückzukehren. Die Kreisverwaltung hat ihre Prognose von bis zu 250 Ausreisewilligen Ende 2018 inzwischen deutlich nach unten korrigiert. Maximal 130 seien realistisch, heißt es nun.

Einer, der seinen Optimismus nicht verloren hat, ist der Esslinger Landrat Heinz Eininger. Mit Blick auf die seit Mittwoch tagende Innenministerkonferenz der Länder rechnet der Behördenchef mit Bewegung in der Sache. Egal ob Abschiebung oder freiwillige Rückkehr, bei diesem Thema sei „mächtig Druck im Kessel“, sagt Eininger, der von Bund und Ländern mehr juristische Klarheit, vor allem aber mehr Tempo erwartet. „Wir können Recht nicht durch mehr Menschlichkeit ersetzen“, meint der Landrat.

Die Rückkehrberatung der Kreisbehörde betreibt hohen Aufwand. Drei bis sechs Personen pro Tag nahmen bisher das Angebot in Anspruch. Bis zu einer möglichen Ausreise sind bis zu 15 Beratungstermine erforderlich. Dabei geht es nicht nur um die Reiseplanung, sondern auch um einen erfolgreichen Neustart im Herkunftsland. Mit Unterstützung von Hilfsorganisation vor Ort wird gezeigt, welche Berufschancen es gibt und wie medizinische Versorgung funktioniert. Auch eine Startprämie ist möglich. Der Aufwand rechnet sich: Knapp 260 000 Euro an Einsparungen standen im Schlussquartal 2017 rund 32 000 Euro an Kosten gegenüber, von denen das Land die Hälfte übernimmt.

Klingt simpel, ist es aber nicht. Die ersten Hürden türmen sich meist schon beim Beschaffen von Reisedokumenten auf. Beispiel Gambia: Baden-Württemberg ist Schwerpunktaufnahmeland für Menschen aus dem westafrikanischen Kleinstaat, von denen derzeit nur zwei Prozent Schutzstatus genießen. Bis heute gibt es in Deutschland kein gambisches Konsulat, Hilfsorganisationen, die mit deutschen Behörden zusammenarbeiten, sind erst im Entstehen. Durch zwei Verbindungsbeamte, die seit kurzem im Karlsruher Regierungspräsidium angesiedelt sind, hoffen die Ausländerbehörden, künftig leichter an Ausweispapiere zu kommen.

Flüchtlingsorganisationen und Wohlfahrtsverbände kritisieren nach wie vor, dass auf Schutzsuchende Druck ausgeübt werde. Unter dem Deckmantel der Freiwilligkeit verberge sich ein restriktiver Abschiebekurs, kritisieren Vereine wie Pro Asyl. Die Arbeiterwohlfahrt im Kreis Esslingen, die den Großteil der Sozialbetreuung in den Notunterkünften übernimmt, hatte eine aktive Rolle in der Rückkehrberatung deshalb abgelehnt.

Einwanderung
Symbolbild

Mehr Geflüchtete in Ausbildung und Beruf

Die Zahl der Geflüchteten im Kreis Esslingen, die inzwischen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen oder eine Berufsausbildung absolvieren, hat sich von Dezember 2016 bis November 2017 - dem Monat der jüngsten Erhebung - mehr als verdoppelt. Nach den Zahlen der Bundesagentur für Arbeit galten im November vorigen Jahres 661 Asylbewerber aus nichteuropäischen Herkunftsländern als beruflich integriert. Elf Monate zuvor waren es lediglich 300.

Die Größe in Relation zur Gesamtzahl der Geflüchteten im Landkreis zu setzen, ist schwierig. Wie Personen statistisch erfasst werden und ob sie überhaupt berechtigt sind, zu arbeiten oder sich fortzubilden, richtet sich nach dem jeweiligen Aufenthaltsstatus und ihrer Bleibeperspektive. Zum Stichtag am 30. April 2018 befanden sich noch 2 600 Menschen in vorläufigen Unterkünften des Landkreises. Zum Vergleich: Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Juni 2016 waren es 5 800.

Harsche Kritik am Tempo bei der Bearbeitung von Anträgen auf dem Weg zu einer Arbeitserlaubnis übt die ehemalige Landtagsabgeordnete und SPD-Kreisrätin Carla Bregenzer. Es könne nicht sein, dass Antragsteller im Landratsamt bis zu sieben Monate auf eine Entscheidung warten müssten, während die Ausländerämter der Großen Kreisstädte die gleiche Arbeit in wenigen Wochen bewältigten, sagte Bregenzer, die in der Flüchtlingshilfe aktiv ist, gestern im Kreis-Sozialausschuss.

Behördenchef Heinz Eininger reagierte gereizt auf die Vorwürfe. Wenn man über Verfahrenszeiten rede, konterte der Esslinger Landrat, dürfe man auch nicht verschweigen, dass Anträge in den Stadtämtern häufig nur „durchgewunken“ würden. Mit der Bereitstellung zusätzlicher Räume und einer Verdoppelung des Personals habe man in der Kreisverwaltung alle Anstrengungen unternommen, um Rückstände aufzuarbeiten. Eininger: „Weniger Sorgfalt bei diesem Thema ist sicher kein Weg.“bk