Zwischen Neckar und Alb
Der Landkreis greift Mountainbikern in den Lenker

Freizeit Geländeradler sollen ein eigenes Streckennetz bekommen. Dahinter steckt die Hoffnung, besonders bedrohte Naturzonen zu entlasten. Von Bernd Köble

Es ist die Kehrseite des Lockdowns: Horden von Ausflüglern, Wanderern und Radlern, die während Corona Zuflucht in der Natur gesucht haben, werfen die Frage auf: Was darf im dichtbesiedeltsten Landkreis Baden-Württembergs noch sein und wo braucht es eine regulierende Hand? Etwa die Hälfte der Fläche im Kreis Esslingen steht unter Natur- und Landschaftsschutz. Das schafft Konflikte. Vor allem mit Mountainbikern, deren Zahl seit Jahren ebenso rasant wächst, wie die Zahl illegaler Trails in Wiesen und Wäldern. Jetzt will sich die Tourismusförderung im Landratsamt gezielt um diese Gruppe kümmern. Mit dem politischen Segen im zuständigen Umweltausschuss des Kreistags soll ein beschildertes Streckennetz entstehen, das Ausnahmen zulässt und Bikern ein

 

Viele Mountainbiker sind einfach schlecht informiert.
Cordula Samuleit
Die Forstamtschefin im Landratsamt sieht in der Lenkung eine Chance.
 

attraktives Revier mit Rundtrails anbietet. Das Motto lautet: „Erlauben, um zu verbieten.“ Die Hoffnung, die dahinter steckt: „Wer seinen Sport in der Natur auf legalen Wegen betreiben kann, bleibt den Gebieten fern, in denen er Schaden anrichtet. 

Cordula Samuleit, die Leiterin des Kreis-Forstamts ist Herrin über 19 500 Hektar Wald im Landkreis und damit im Brennpunkt vieler Interessen. Jäger, Waldbesitzer, Naturschützer und eben auch Freizeitsportler, sie alle verlangen ihren Anteil an der Natur. „Corona hat gezeigt, dass wir an Grenzen stoßen,“ sagt Samuleit. Dabei seien nicht einmal die besonders Rücksichtslosen das Problem. „Es ist die schiere Masse.“ In der Forstverwaltung sieht man einen Schonraum für Mountainbiker, wie es ihn in Regionen wie dem Schwarzwald oder im Pfälzer Wald längst gibt, als Chance. „Der Großteil der Menschen will eigentlich das Richtige tun,“ ist Samuleit überzeugt. „Viele Mountainbiker sind ganz einfach schlecht informiert.“

Das soll sich nun ändern. In den kommenden beiden Jahren wollen sich Tourismusförderung und Forstverwaltung gemeinsam um ein Streckenkonzept kümmern, das ausgeschildert und entsprechend beworben werden soll. Ein Netz aus mehreren Rundrouten, die touristische Highlights ebenso mit einschließen sollen wie bereits vorhandene Einrichtungen, etwa der Dirtpark auf den Fiildern oder der Bikepark hinterm Kirchheimer Schlossgymnasium. Eine halbe Projektstelle im Landratsamt, befristet bis Ende 2023,  soll garantieren, dass der Prozess vom Start weg friedlich verläuft, indem man alle Interessensgruppen am Prozess beteiligt. 

Landrat Heinz Eininger verteidigt die Pläne. „Lenken, um am Ende nicht Nein sagen zu müssen,“ das habe vorher auch an anderer Stelle gut funktioniert, erinnert Eininger und nennt Beispiele: An Kletterfelsen und an Startplätzen für Gleitschirmflieger gibt es inzwischen klare Regeln, die den Sport auch in Schutzzonen ermöglichen. Durchaus geteilt sind die Meinungen innerhalb der Fraktionen im Kreistag. Kirchheims Bürgermeister Günter Riemer (Freie Wähler) hält die Pläne für richtig. Nicht nur wegen des steigenden Drucks auf die Natur. Auch Naherholung betreffe den Klimaschutz. „Wenn die Leute zum Biken nicht ins Allgäu fahren, dann ist das gut,“ hält Riemer fest. Dafür gelte es allerdings auf Anschlüsse ans überregionale Streckennetz zu achten und dafür zu sorgen, dass auch attraktive Wege „unterhalb der Zwei-Meter-Regel,“ wie sie das Waldgesetz in Baden-Württemberg festlegt, im Angebot seien. Bei den Grünen hält man die Zwei-Meter-Regel grundsätzlich für richtig. Als Lenkungsmaßnahme und um Konflikte zu entschärfen, unterstütze man das Konzept jedoch, meinte Fraktionssprecher Michael Magdanz. Gespalten zeigt sich die SPD beim Thema. Am Bedarf neuer Mountainbike-Strecken gebe es Zweifel innerhalb der Fraktion, räumte Kirchheims ehemalige Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker ein. Unter dem Aspekt „Erlauben, um zu verbieten,“ gebe es jedoch eine Mehrheit für das Projekt. Die Linke und ihr Fraktionschef Peter Rauscher bezweifeln hingegen, ob es sich beim Mountainbikesport um einen dauerhaften Trend handelt. „In den Achtzigern gab es die Trimm-dich-Bewegung, rief Rauscher in Erinnerung. „Heute haben wir noch immer Trimm-dich-Pfade, die Ruinen sind.“

 

Rekordzahlen trotz Lieferprobleme

Das Coronajahr 2020 hat dem deutschen Fahrradmarkt einen Boom beschert. Mehr als fünf Millionen verkaufter Räder und E-Bikes, das sind 16,9 Prozent mehr als im Vorjahr, ließen die Kassen der Händler klingeln. Etwa bei einem Drittel aller verkaufter Pedelecs handelt es sich um Mountainbikes. Größte Sorge der Händler in diesem Jahr: Lieferkettenprobleme und Engpässe in der Produktion. Dennoch ist auch im ersten Halbjahr 2021 der Absatz leicht gestiegen.bk