Zwischen Neckar und Alb
Der lange Weg zur „stehenden Welle“

Freizeit Der Stuttgarter Verein Neckarwelle kämpft für den Bau einer Surfanlage in Untertürkheim – und gegen Bedenken wegen der Wasserqualität. Noch ist man auf Alternativen angewiesen. Von Elke Hauptmann

Ein beherzter Sprung in den 20 Grad kalten Neckar, die Füße locker aufs Board gelegt, das Seil fest im Griff und schon geht es los: Das Motorboot nimmt Fahrt auf, zieht den Surfer mit gut 20 Kilometern pro Stunde aus dem Wasser. Nun geht es für ihn darum, die Balance zu finden auf der etwa einen halben Meter hohen Heckwelle – und irgendwann das Seil loszulassen. Der Ritt auf dem Neckar zwischen Esslingen-Zell und Altbach dauert zwar immer nur wenige Minuten, „aber er macht richtig Spaß“, sagt Matthias Bauer euphorisch, als er wieder ins Boot steigt. „Da kommen Glücksgefühle auf.“

Doch die Freude der Mitglieder des Stuttgarter Vereins Neckarwelle ist getrübt wie das Wasser des Flusses. Nach dem ersten „Wakesurf-Jam “ im Oktober vergangenen Jahres im Stuttgarter Hafen sind sie in diesem Jahr zu Gast beim Motor-Yachtclub Esslingen. Dort dürfen sie die Wasserski-Strecke nutzen, um ihren Sport ausüben zu können, ohne dafür um die halbe Welt reisen zu müssen. Eine solche Veranstaltung sei allerdings „kein Ersatz für eine festinstallierte Surfanlage“, sagt der Vereinsvorsitzende Volker Sellmeier.

 

Eine Einzelveranstaltung ist kein Ersatz für eine Surfanlage
Volker Sellmeier
Vorsitzender des Vereins Neckarwelle

 

Deshalb kämpft der rund 300 Mitglieder zählende Verein weiterhin für den Bau einer Surf-Sportstätte in Untertürkheim: Durch eine höhenverstellbare Barriere im Seitenkanal des Neckars beim Inselkraftwerk soll eine künstliche „stehende Welle“ erzeugt werden, die sich an unterschiedliche Wasserstände anpassen lässt. Technisch ist das machbar, so das Fazit einer eigens erstellten Machbarkeitsstudie. Doch die Stadt Stuttgart lehnt das mit Kosten in Höhe von 4,2 Millionen Euro geschätzte Projekt mit Verweis auf Untersuchungen des Landesgesundheitsamtes zur Wasserqualität kategorisch ab. Die Behörde erklärte vor sechs Jahren in ihrem Bericht, dass die mikrobiellen Belastungen des Neckars so stark seien, dass man beim Untertauchen Krankheitserreger aufnehmen könnte, weshalb vom Baden im Neckar dringend abgeraten werde. Die Stuttgarter Stadtspitze erklärte daraufhin im Frühjahr 2019 das Aus für die Neckarwelle: Ihr seien „derzeit die Hände gebunden“.

Nachvollziehen kann der Verein die Entscheidung bis heute nicht: „Wir haben im Rahmen der Machbarkeitsstudie insgesamt 18 Messungen zur Wasserqualität machen lassen“, berichtet Sellmeier. „Beim Großteil der Messungen wurden die Grenzwerte der Badewasser-Qualitätsverordnung unterschritten. Lediglich an bestimmten Tagen, etwa nach starken Regenfällen, wurden sie überschritten.“ Und an Tagen mit viel Niederschlag würde man die Surfanlage natürlich außer Betrieb nehmen.

Das Problem mit Der Badewasserqualität nimmt man zwar ernst, trotzdem betonen Sellmeier und seine Mitstreiter nach der Surf-Session, dass ihnen noch nie übel geworden sei. Ihnen sei aber bekannt, dass es vereinzelt Krankheitsfälle nach Sportveranstaltungen im Fluss gegeben habe.

Dass der Neckar durchgehend nicht als Badegewässer ausgewiesen ist, ist nach Meinung der Vereinsführung aber kein Grund, den Bau der Surfanlage in Stuttgart nicht zu genehmigen. Die offiziell freigegebene Wasserskistrecke in Esslingen würde laut Sellmeier zeigen, dass das Gesundheitsrisiko auch bei häufigem Ins-Wasser-Fallen nicht so dramatisch sei wie es von amtlicher Seite dargestellt werde. „Die Anlage hier gibt es schon seit mehreren Jahren, ohne dass es zu Krankheitsfällen bei den Sportlern gekommen ist.“ Zudem würden entlang des Neckars vielerorts weitere Wassersportaktivitäten regulär angeboten. Darunter zum Beispiel Stand-up-Paddling , bei dem der Kontakt mit dem Wasser laut Sellmeier auch nicht ausgeschlossen werden kann. Große Hoffnungen setzt der Verein Neckarwelle auf ein neues Gutachten zur Wasserqualität, das er von einem Fachmann erarbeiten lässt. „Es steht aber noch nicht fest, wann es vorliegen wird“, räumt Vorstandsmitglied Bauer ein.

Aufgeben ist keine Option

Mit der Expertise wolle man erneut auf die Stuttgarter Stadtverwaltung zugehen. Aufgeben werde man nicht, beteuern Sellmeier und Bauer. Der Fokus bleibe auf Untertürkheim. „Wir sind dort schon so weit mit unseren Plänen.“ Bei einem endgültigen Scheitern könnte man sich aber vorstellen, im Esslinger Rathaus anzuklopfen: Der Seitenarm des Neckars bei der Sirnauer Brücke böte sich für eine Surfanlage durchaus an.

Etwas neidvoll beobachtet der Verein, dass andere Städte Stuttgart überholen. So wurde etwa in Pforzheim jüngst eine der ersten stehenden Wellen im Land umgesetzt. In Nürnberg soll demnächst eine Anlage auf der Pegnitz entstehen.

 

Der Neckar – rege genutzt, nur nicht zum Baden

Der Fluss: Der Neckar, mit 367 Kilometern der zweitlängste Fluss in Baden-Württemberg, entspringt auf der Baar zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb und mündet bei Mannheim in den Rhein. Von dort ist er bis Plochingen auf 201 Kilometern schiffbar. Hierzu wurden 27 Staustufen errichtet. Das Landesgesundheitsamt bescheinigt dem Neckar in seinem gesamten Verlauf einen biologisch wie chemisch bedenkliche Wasserqualität. Als Gründe dafür gelten vor allem die mehr als 500 Kläranlagen am Ufer. Die Werte der Wasserqualität entsprechen an vielen Stellen nicht den gesetzlichen Vorgaben der EU-Richtlinie und somit auch nicht der baden-württembergischen Badegewässerverordnung.

Die Belastung: Der Neckar ist ein sogenannter Vorfluter. Das bedeutet, dass Kläranlagen ihr gereinigtes Abwasser in den Fluss leiten. Zwar werden dort vorhandene Keime zum größten Teil abgebaut, nie jedoch vollständig. Bei Proben wurden unter anderem Kolibakterien und Noroviren gefunden. Auch die Phosphat- und Stickstoffkonzentrationen liegen oberhalb des Normbereichs. eh