Zwischen Neckar und Alb

Der Mensch und das Reservat

Was hinter der Idee von Schutzgebieten steckt – Allein in Deutschland gibt es 15 Biosphärenreservate

„Da Kriege im Geist der Menschen entstehen, muss auch der Frieden im Geist der Menschen verankert werden.“

Schön und schützenswert ist die Pflanzen- und Tierwelt sowie die Landschaft der Schwäbischen Alb.Foto: Dieter Ruoff
Schön und schützenswert ist die Pflanzen- und Tierwelt sowie die Landschaft der Schwäbischen Alb.Foto: Dieter Ruoff

Lenningen. Oben zitierte Worte aus der Verfassung der Unesco sind der Leitstern des Unesco-Programms Mensch und Biosphärenreservate. Meist sieht man nicht, was genau vor der Nase ist. Das Biosphärengebiet Schwäbische Alb ist seit seiner Gründung im Jahr 2009 in vielen Bereichen ein Teil des Alltags geworden.

Viele Ansätze, denen nachhaltiges Wirtschaften zugrunde liegt, sind im Alltag der Bewohner angekommen. Dass ein Biosphärengebiet aber durchaus etwas Besonderes ist, etwas, das viel Entwicklungsarbeit, Engagement und auch Herzblut erfordert, gerät dabei gerne einmal in Vergessenheit. Auch die Gewissheit, dass das Gebiet vor der Haustür Teil eines großen Ganzen ist, ist nicht immer präsent. Der Blick über den Tellerrand lohnt.

Der große Gedanke hinter einem Biosphärengebiet ist nicht allein der Naturschutz. Ein Biosphärengebiet ist ja kein „Nationalpark“, erklärt Pet­ra Bernert, Leiterin der Geschäftsstelle Biosphärengebiet Schwäbische Alb. Ein Biosphärengebiet hat die Funktion, beispielhaft aufzuzeigen, wie in einer besonders schützenswerten Umgebung nachhaltige Entwicklung stattfinden kann. Nachhaltig bedeutet, dass die heute vorhandenen Ressourcen für die nachfolgenden Generationen erhalten bleiben, erstmals definiert im Brundtland-Bericht 1987. Hier wird quasi im Kleinen geprobt, entwickelt und ausgeführt, was für die ganze Welt eine Notwendigkeit ist.

Die UNESCO hat deshalb das Programm „Mensch und Biosphäre“, kurz MAB, ins Leben gerufen. Das Programm beschäftigt sich mit den Fragen: Wie können wir Umweltschutz und Wirtschaft zusammenbringen? Wie können Mensch und Natur einträchtig zusammenleben? Die UNESCO zeigt dies im Weltnetz der Biosphärenreservate, einem globalen Verbund von 669 international repräsentativen Modellregionen in 120 Ländern. Hier wird Nachhaltigkeit konkret fassbar. Allein in Deutschland gibt es 15 UNESCO-Biosphärenreservate – Lernorte für nachhaltige Entwicklung. Das MAB-Programm der UNESCO hat seit 1971, dem Jahr der ersten Sitzung seines zwischenstaatlichen Steuerungsgremiums, viele entscheidende Impulse zur Erforschung der wichtigsten Ökosysteme weltweit gegeben, etwa Gebirge, Küsten, Trockengebiete oder Feuchtgebiete. Neben dem Fokus auf Biosphärenreservate fördert das MAB-Programm auch heute noch die Forschung. Der Ansatz war und ist grundsätzlich interdisziplinär, umfasst also auch sozialwissenschaftliche Arbeiten und hat immer den Menschen als Bestandteil der Biosphäre im Blick. Das MAB-Programm will den Verlust biologischer Vielfalt einschränken, die Bedingungen des menschlichen Lebens und Überlebens verbessern und die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Voraussetzungen für ökologische Nachhaltigkeit weiterentwickeln.

Wir sind Teil der BiosphäreKommentar

Da ist etwas ganz Großes, direkt vor der Haustür: das Biosphärengebiet Schwäbische Alb. Es ist fast zu groß, um es mit bloßem Auge zu sehen. Und es ist schon fast zu alltäglich. Aber ein Biosphärengebiet ist ein Vorbild, und die Menschen dort leben vor, nachhaltig zu leben.

Das Wort „Nachhaltigkeit“ ist immer noch reichlich abstrakt. Im Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen wurde der Begriff im Jahr 1987 erstmals so definiert: „Dauerhafte Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können. Im Wesentlichen ist dauerhafte Entwicklung ein Wandlungsprozess, in dem die Nutzung von Ressourcen, das Ziel von Investitionen, die Richtung technologischer Entwicklung und institutioneller Wandel miteinander harmonieren und das derzeitige und künftige Potenzial vergrößern, menschliche Bedürfnisse und Wünsche zu erfüllen.“

Diese Definition ist ziemlich radikal, beinhaltet sie doch die Forderung einer ganzheitlichen Verhaltensänderung, die politisch naturgemäß weniger Anerkennung findet. Im Biosphärenreservat wird danach gehandelt und gelebt – das ist das eigentlich Revolutionäre an der Idee.

Jedes Jahr im August sind die Ressourcen der Erde aufgebraucht, der „Earth Overshoot Day“ – der Erd-Überlastungstag – war dieses Jahr wieder einige Tage früher als noch im Jahr zuvor. Erst wenn dieser Tag erstmals auf den 31. Dezember fällt, dann ist die Wende geschafft, die vor der Haustür beginnt: im Biosphärenreservat Schwäbische Alb.

JUDITH REISCHL