Zwischen Neckar und Alb
Der Pflege gehen die Kräfte aus

Versorgung Die Diakonie Stetten braucht dringend Personal für ihre Häuser. Im Landkreis Esslingen stehen viele Träger vor dem gleichen Problem. Von Dominic Berner

Es klingt fast wie ein Hilferuf: „Diakonie Stetten sucht erneut dringend Fachkräfte und helfende Hände für die Betreuung und Pflege“, lautet es in einer Pressemitteilung. Wegen der anhaltenden Corona-Pandemie suche die Diakonie, die auch Einrichtungen im Kreis Esslingen betreibt, sowohl Fachkräfte als auch Hilfskräfte. Als Einsatzorte werden die Wohnangebote für Menschen mit Behinderungen genannt und die Seniorenheime des Alexanderstifts. Um Personal zu finden, hat die Diakonie Stetten die Kampagne „Comeback. Bitte!“ gestartet. Sie wendet sich an Menschen, die derzeit nicht mehr in der Pflege oder Betreuung arbeiten, sich aber vorstellen können, in den nächsten Monaten in den Einrichtungen des Trägers auszuhelfen.

 

Wir haben schon lange einen Personalmangel in der Pflege.
Thilo Naujoks
Geschäftsführer der Städtischen ­Pflegeheime Esslingen

 

„Die Situation ist in der Pflege allgemein nicht gut“, erklärt der Sprecher der Diakonie, Jochen Spieth. In der Pandemie komme noch verschärfend hinzu, dass sich Mitarbeiter teilweise in Quarantäne begeben und deshalb vertreten werden müssen. Auch wegen der großen Belastung über einen langen Zeitraum brauchen die Einrichtungen Unterstützung und Entlastung. Gesucht werden deshalb Fach- und Hilfskräfte zur Unterstützung sowie Pflegekräfte, die derzeit studieren, momentan in Elternzeit oder schon im Ruhestand sind. Aber auch Teilzeitkräfte und „helfende Hände“ seien willkommen, um beispielsweise in der Schnellteststelle mitzuhelfen. Diese zu finden, ist jedoch alles andere als einfach.

Wie schwer es für die Pflegeheime ist, vakante Stellen zu besetzen, zeigt eine Erhebung im Rahmen des Indikators 2/2021 der baden-württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG). Dabei werden Geschäftsführer der Mitgliedseinrichtungen befragt, wie sie Fachkräfte gewinnen. Das Resultat: 97,3 Prozent der Reha-Kliniken und 89,3 Prozent der Pflegeeinrichtungen schätzen es als schwierig oder eher schwierig ein, Pflegefachkräfte zu finden.

„Wir haben schon lange einen Personalmangel in der Pflege. Aber die Dimensionen haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen“, erklärt Thilo Naujoks, Geschäftsführer der Städtischen Pflegeheime Esslingen. Allerdings ist es für ihn zu früh, die Corona-Pandemie für diese Entwicklung verantwortlich zu machen. Er habe, anders als es in Krankenhäusern der Fall ist, nicht feststellen können, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wegen den Corona-Auswirkungen ihren Job an den Nagel hängen. Ein weiterer Grund, der in der öffentlichen Debatte häufig angeführt wird, ist, dass die Pflegeberufe nicht attraktiv seien. Doch dieses Argument ist aus Naujoks Sicht zu kurz gegriffen. Es sei in den Städtischen Pflegeheimen beispielsweise kein Problem, die Ausbildungsstellen zu besetzen. Vielmehr sieht Naujoks ein „quantitatives Problem“ als Ursache für den Mangel. „Der Bedarf steigt“, sagt er. Dabei sei es fast unmöglich, diese erhöhte Nachfrage mit Personal auszugleichen. So hat eine Studie der Bertelsmann-Stiftung im Rahmen des Pflegereports 2030 ergeben, dass in Deutschland bis 2030 mindes­tens 500 000 Pflegekräfte fehlen werden, wenn sich der aktuelle Trend weiter fortsetzt. Angesichts dessen gibt es laut Naujoks nur ein Mittel, um gegen diese Entwicklung anzukämpfen: „Ausbilden! Ausbilden! Ausbilden!“

Doch es gibt auch Träger, die andere Erfahrungen machen. Bei der Evangelischen Heimstiftung, die ebenfalls Einrichtungen im Landkreis Esslingen betreibt, ist die Personallage zum Beispiel entspannt. „Wir sind natürlich immer auf der Suche nach guten Mitarbeitern“, sagt Sprecherin Ann-Christin Kulick. Allerdings sehe der Träger kein „Thema fehlender Mitarbeitender“ im Zusammenhang mit der Pandemie auf sich zukommen. Doch trotz punktueller Unterschiede dürften früher oder später so gut wie alle Einrichtungen mit diesen quantitativen Problemen in Berührung kommen, das zeigt auch die Bertelsmann-Studie.

Was die Kampagne der Diakonie Stetten angeht, zeigen sich erste Erfolge, wie Pressesprecher Spieth erklärt. Es hätten sich schon einige Menschen gemeldet, die übergangsweise in den Einrichtungen des Trägers aushelfen wollen. Nun hofft die Diakonie, dass sich noch weitere „helfende Hände“ finden.