Zwischen Neckar und Alb

Der Regen machte einen Strich durch das Open-Air-Jubiläum

Glauben Seit 100 Jahren besteigen evangelische Christen den Jusi in Kohlberg, um dort unter freiem Himmel einen Gottesdienst zu feiern – dieses Mal nicht. Von Kirsten Oechsner

Da waren sie noch optimistisch, dann mussten sie endgültig umziehen: Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Landesbischof Frank
Da waren sie noch optimistisch, dann mussten sie endgültig umziehen: Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Landesbischof Frank Otfried July und Pfarrer Steffen Kern von den Apis, dahinter Kohlbergs Bürgermeister Rainer Taigel. Foto: Kirsten Oechsner

Landesbischof Frank Otfried July hatte den Aufstieg in einer rekordverdächtigen Zeit von 17 Minuten geschafft. Doch wie alle anderen auch musste er unverrichteter Dinge wieder zurück ins Tal gehen. Es trat das ein, was sich niemand gewünscht hatte: Aus dem leichten Nieselregen wurde Starkregen. Der Gottesdienst und das anschließende Fest mussten kurzfristig in die Jusihalle verlegt werden.

Leicht hatten sich die Organisatoren des Evangelischen Gemeinschaftsverbandes Württemberg (Apis) die Entscheidung nicht gemacht. Morgens um 7 Uhr war der Krisenstab zusammengekommen. Zu diesem Zeitpunkt war die Jusihalle als Ersatzort längst bestuhlt, doch noch herrschte Optimismus vor. Die Wetter-Apps hatten gelegentlichen, leichten Regen angekündigt und noch kurz vor dem Gottesdienst - der Posaunenchor hatte sich bereits eingespielt - ging der Landesbischof davon aus, auf dem Jusi zu predigen. „In Bergschuhen habe ich das noch nie gemacht“, gab er zu, und auch ein Regencape statt eines liturgischen Gewands habe er noch nie zuvor getragen.

Doch nach zunehmendem Regen zogen die Verantwortlichen die Reißleine. Mit anderthalb Stunden Verspätung wurde aus der Kirche unter freiem Himmel eine Veranstaltung in der Halle. Was fehlte, waren der Charme und das ganz besondere Flair des Jusi-Festes, das geprägt ist von einem ungezwungen-familiären Beisammensein und der Begegnung der Generationen. Doch das Gefühl der Gemeinschaft war auch später auf Stuhlreihen sitzend deutlich spürbar. Die Menschen rückten zusammen - viele von ihnen in immer noch feuchten Kleidern.

Von einer typisch pietistischen Pioniertat, eine „Kirche im Grünen“ zu veranstalten, sprach Pfarrer Steffen Kern. Vor einem Jahrhundert sei es alles andere als üblich gewesen, die Gotteshäuser zu verlassen. Bei diesen Gottesdiensten im Freien müsse man bis heute keine Schwellen überwinden: „Es handelt sich um ein freies Treffen in Freiheit“, so Kern. Bei Jusi und Jesus handele es sich um mehr als ein Wortspiel: „Das Jusi-Treffen ist ein Jesus-Treffen im besten Sinne.“

Damals wie heute sei laut Landesbischof July die „Kirche im Grünen“ - sie ist seit 1974 ein fester Bestandteil der landeskirchlichen Arbeit - gleichzusetzen mit einem Aufbruch zu den Menschen. „Sie ist ein Symbol dafür, dass die Türen der Kirche weit offen stehen und sie auch sonntags hinausgeht in die Lebenswelt der Menschen.“ Das sei bereits 1919 erkannt worden. Und 100 Jahre später würden die Apis viele Impulse setzen: „Sie sind ein Lungenflügel in der Beatmung unserer Landeskirche.“

Der idyllisch gelegene Jusi mit seinem weiten Blick sei nach Ansicht von Winfried Kretschmann als Ort für den Aufbruch in eine neue Gottesdienstform perfekt gewesen: „Anders als beim Vulkan sind die Jusi-Treffen nicht irgendwann erkaltet.“ Sie seien bis heute ein lebendiges Fest des Glaubens. „Damals ist etwas Neues aufgebrochen und in Bewegung gekommen, was sich als beständig und tragfähig erwiesen hat.“ Es sei kein Zufall gewesen, dass im Jahr des demokratischen Aufbruchs und der Gründung der Weimarer Republik auch die Kirchenbasis aufgebrochen sei und den Kirchenraum verließ. „In gewisser Weise war auch das eine demokratische Bewegung: der Gottesdienst draußen, volksnah, familiär, offen.“ 1919 sei auf dem Jusi eine ganz besondere Form kirchlichen Lebens geschaffen worden: „Das Verweilen in der Natur macht nicht nur das Denken freier, sondern auch das Glauben.“

Der Jusi wirkt bis heute aus der Tiefe, biete Weitblick und stifte das Gefühl der Zusammengehörigkeit, führte Kohlbergs Bürgermeister Rainer Taigel aus - all dies wünsche er auch den Apis für die Zukunft.