Zwischen Neckar und Alb

Der steinige Weg zum Schutzgebiet

Natur Die Wernauer Baggerseen sind ein ökologisches Aushängeschild. Doch das war nicht immer so. Als der ­Kiesabbau endete, zog noch viel Zeit ins Land, bis das Gebiet unter Schutz gestellt wurde. Von Daniela Haußmann

Die Wernauer Baggerseen sind heute ein Eldorado für seltene Vogelarten.Foto: Daniela Haußmann
Die Wernauer Baggerseen sind heute ein Eldorado für seltene Vogelarten.Foto: Daniela Haußmann

Ob Flussregenpfeifer, Eisvogel oder Grauspecht - die Wernauer Baggerseen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten zum wohl wichtigsten Ökologiebereich im Ballungsraum Stuttgart entwickelt. Daran, dass hier einmal im großen Stil Rohstoffe für die Bauindustrie gewonnen wurden, erinnert nur noch die Tatsache, dass es das Naturschutzgebiet in der Talaue des Neckarbeckens überhaupt gibt.

Bevor ab 1908 der Kiesabbau die Landschaft für immer veränderte, war von den heutigen Wasserflächen weit und breit nichts zu sehen. Stattdessen prägten bis Anfang des 20. Jahrhunderts neben dem naturbelassenen Neckar Altwässer, Korbweiden, einzelne Streuobstbäume und weitläufige Wiesen das Tal. Bis in die Dreißigerjahre wurden die überschwemmungsgefährdeten Tallagen ausschließlich als Grünland genutzt. Der spätere Tagebau stieß nicht überall auf Gegenliebe. 1935 ließ die Firma Wolfer und Göbel ein neues Kieswerk genehmigen. In seiner Bewilligung betonte das Württembergische Landesamt für Denkmalpflege, dass das im Zuge des Abbaus entstehende Gewässer, das heute als „Großer See“ bekannt ist, dem Naturschutz zuzuführen ist.

Damit wurde schon früh der Grundstein für das 1981 ins Leben gerufene Naturschutzgebiet gelegt. In den Folgejahren schritt der Landschaftsverbrauch durch die wachsende Technisierung immer schneller, und teils auch unkontrollierter, voran. Das württembergische Kultusministerium als Oberste Naturschutzbehörde erließ daher 1942 eine Schutzverordnung, um bei der Ausbaggerung und Rekultivierung der Abbaufläche im Neckartal ein Wörtchen mitreden zu können. 1950 wurde ein Teil der Abbaufläche rekultiviert. Auf Basis des 1935 im Genehmigungsverfahren formulierten Naturschutzgedankens, entstanden weiche, natürlich wirkende Uferlinien, aber auch Halbinseln und Inseln. Die sind beim Gang um den See heute noch erkennbar. Im Verlauf der 50er-Jahre verlagerten sich aber die Prioritäten.

Im mittleren Neckarraum brummte die Wirtschaft und so setzte sich Wernau 1954/55 über die Belange des Natur- und Landschaftsschutzes hinweg. Die gesamte Talmulde links des Neckars wurde zum Industriegebiet erklärt. Hinzu kam, dass der Neckar bis 1949 oft Niedrigwasser führte. So befürchtete man einen großen Wassermangel für Schleusungen, Industrie und Landwirtschaft. Aber auch die Angst vor Wasserverschmutzungen trieb die Behörden um, da sich die eingeleiteten Abwassermengen im Ernstfall nicht ausreichend verdünnen ließen.

1960 gab es daher Pläne, die vorsahen, den aus dem Schurwald zur Fils fließenden Lützelbach bei Reichenbach in einem Stausee zu fassen. Der sollte über einen Stollen mit einem weiteren Speicherbecken im Gebiet der Baggerseen verbunden werden. Aus dem hätte dann bei Bedarf Frischwasser in den Neckar eingeleitet werden können. Dazu kam es nicht - wozu es aber kam, waren die Auffüllungen der See-Randzonen. 1965 bis 1968 sind allein vom „Kleinen See“ rund 10 000 Kubikmeter Wasserfläche zugeschüttet worden, um die Daimler-Teststrecke zu schaffen. Von 1968 bis 1970 wurden Teile des „Großen Sees“ bis zur Wendlinger Markungsgrenze verfüllt. 1968 fand der Tagebau endlich auch im Norden dieses Areals ein Ende.

Später wurden im Gebiet „Neckarwasen“ sieben Hektar Wasserfläche aufgefüllt und in den Randzonen Gewerbegebiete geschaffen. Mit dem veralteten Reichsnaturschutzgesetz konnten die Naturschutzbehörden dem Flächenbedarf, den die rasante Wirtschaftsentwicklung nach sich zog, rechtlich wenig entgegensetzen. Trotz aufkeimendem Naturschutzbewusstsein wollte das Regierungspräsidium (RP) bis 1972 die Wernauer Baggerseen vollständig überbauen. Die noch geltenden Regelungen von 1935 und 1942 wurden ignoriert. Da sich über 200 Vogelarten in dem Gebiet nachweisen ließen, brachte der Deutsche Vogelschutzbund (DBV) die Unterschutzstellung ins Rollen - ein zähes Verfahren. Von 1977 bis 1981 zog das Landratsamt Esslingen die Seen sogar noch als Alternativstandort für eine Müllverbrennungsanlage in Erwägung. Eine Bürgerinitiative protestierte mit über 2 000 Unterschriften dagegen. Eine Aktion, die der DBV 1979 wiederholte: 15 000 Unterzeichner forderten ein Naturschutzgebiet. Dem kam das RP im Juni 1981 nach, während der Grundstückseigentümer das vergeblich zu verhindern suchte.