Zwischen Neckar und Alb

Die erste Kurbeldrehung ist geschafft

Radschnellweg Der Landkreis stellt das Ergebnis der Machbarkeitsstudie für die Trasse durch das Neckartal vor. Jetzt ist das Land am Zug. Von Bernd Köble

Gewaltige Verkehrsknoten, Industrieanlagen, Gewerbeparks und Stadtzentren - das Neckartal in Richtung Stuttgart ist wahrlich kein Paradies für Radler. Das könnte sich nun ändern. Landkreisverwaltung und Verkehrsplaner haben gestern im Esslinger Landratsamt die Machbarkeitsstudie für einen Radschnellweg von Reichenbach bis an die Grenze der Landeshauptstadt bei Hedelfingen vorgestellt. Aus vier mach eins: Vier mögliche Streckenvarianten wurden geprüft. Herausgekommen ist die Lösung mit dem größten Kosten-Nutzen-Faktor. „Keiner hat geglaubt, dass es gehen könnte. Jetzt zeigen wir, dass es gehen kann“, meint Landrat Heinz Eininger zum vorliegenden Ergebnis, auf das im Verkehrsministerium in Stuttgart nun buchstäblich gebaut werden soll. Laut Eininger hofft man, den Anteil des Radverkehrs damit von derzeit sechs auf elf Prozent nahezu verdoppeln zu können.

Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg. „Die Studie ist noch keine Straßenplanung“, bremst Eininger voreilige Erwartungen. Das ehrgeizige Ziel der Landesregierung, die Strecke 2025 in Betrieb zu nehmen, zweifeln Kreis und Kommunen an. Noch sei nicht absehbar, mit welchen Widerständen man zu kämpfen habe, meint Thorsten König, der Leiter des Straßenbauamts.

Ein Knackpunkt sind die Kosten. Etwa 60 Millionen Euro soll der Bau der 20 Kilometer langen Trasse verschlingen. Was die Sache verteuert sind fünf Brücken und zwei Unterführungen, die nötig sind, um B 10, Neckar und Bahnlinie mehrfach zu kreuzen. Jedes dieser Brückenbauwerke wird je nach Ausführung mit durchschnittlich drei Millionen Euro veranschlagt. Konfliktpotenzial birgt auch die Querung des „Alten Neckars“ zwischen Altbach und Esslingen-Zell, wo es ohne Eingriffe in Natur- und Gewässerschutz nicht gehen wird.

Zwischen dem dortigen Steg über den Neckar-Seitenarm und der Esslinger Vogelsangbrücke gibt es nach wie vor zwei Streckenvarianten: Ein Teil der Spange führt mitten durchs Esslinger Stadtgebiet, die andere auf bestehender Trasse entlang des Neckarufers. Dass der holprige Neckarufer-Radweg - wenn überhaupt - erst zu einem späteren Zeitpunkt ausgebaut werden soll, dürfte vor allem jene Radler enttäuschen, die es eilig haben. Die Studie jedenfalls räumt der Erschließung des Stadtgebiets Vorrang ein gegenüber der schnelleren Verbindung, bei der man auch im Esslinger Rathaus bremst. Die Stadt will möglichst keine Bäume opfern und plant zudem im weiteren Uferverlauf westlich des Bahnhofs einen Neckarpark hinter den Gleisen. Die Krux an der Sache: Der geplante Grünstreifen misst maximal 25 Meter. Mit einer sieben Meter breiten Trasse, die Radler und Fußgänger trennt, bliebe nicht mehr allzu viel Platz. Die Route, wie sie die Studie nun vorsieht, führt dennoch hier entlang. Für Thorsten König durchaus machbar: „Ein moderater Ausbau in einem Neckarpark wäre möglich“, sagt er. „Man muss es allerdings wollen.“

Klar ist schon jetzt: Einen einheitlichen Standard wird es beim Bau ohnehin nicht geben. Kritische Stellen erfordern Kompromisse, will man zu einem Ergebnis kommen. Wo mit wenig Fußgängerverkehr zu rechnen ist, genügt den Planern eine Fahrbahnbreite von vier Metern, in anderen Bereichen, wo Radler und Spaziergänger getrennt zu führen sind, braucht es bis zu sieben. Würde mit dem Bau begonnen werden, dann zuerst am westliche Ende Richtung Stuttgart. „Weil hier das größte Potenzial liegt“, sagt Paul Fremer vom Frankfurter Büro Radverkehr-Konzept. Damit die Trasse eines Tages nicht an der Kreisgrenze endet, muss man sich in Stuttgart sputen. Dort ist eine Studie derzeit noch in Arbeit.

Keine halben Sachen

Politiker und Verwaltungsbeamte brechen gerne eine Lanze für den Radverkehr. Ein dichtes und gut ausgebautes Wegenetz gilt als wichtiger Tourismusfaktor, lockt Berufspendler hinterm Lenkrad hervor und ist in Zeiten von Luftreinhalteplänen und Fahrverbotsdebatten ein Pflichthema. Ein dankbares zumal, denn hier lässt sich leicht punkten. Radler sind ein emotionales Völkchen und nicht gerade verwöhnt von einer starken Lobby.

Mehr als 1 400 Kilometer Radwege gibt es im Kreis Esslingen. Dass man im Landratsamt das Thema vorantreibt, bringt von politischer Seite regelmäßig Lob ein. Wer häufig auf dem Rad sitzt und nicht nur darüber redet, der weiß jedoch: Nicht alles ist so toll, wie es verkauft wird. Das Radwegenetz in einem der dicht besiedeltsten Landkreise der Republik gleicht einem Flickenteppich. Hier unterwegs zu sein, ist nicht immer leicht, häufig sogar gefährlich.

Jetzt bietet sich die große Chance, entlang des Neckars und der Stauroute B 10 den großen Wurf zu landen. Ein Radschnellweg Richtung Landeshauptstadt - breit, direkt, losgelöst vom motorisierten Verkehr und sowohl finanziell wie auch planerisch forciert von der grün-schwarzen Landesregierung. Die vom Kreis gestern vorgestellte Studie ist ein Einstieg und für alle Radler grundsätzlich eine gute Nachricht. Die schlechte: Die Route mitten durchs Esslinger Stadtgebiet soll Vorfahrt haben vor einem Ausbau des bereits bestehenden Radwegs am Neckarufer - auf immerhin sechs von insgesamt 20 geplanten Kilometern durch Fils- und Neckartal. Zugegeben: Die Direttissima am Fluss ist die teurere und politisch unbequemere der vorgeschlagenen Varianten, weil auch die Stadt Esslingen hier eigene Interessen verfolgt. Für Berufspendler, die ohne Querverkehr und Abgaswolken zügig von A nach B kommen wollen, ist sie auf jeden Fall die attraktivste.

Wer groß für ein ideologiefreies Umdenken in der Verkehrspolitik wirbt, der muss auch groß denken, wenn es um konkrete Pläne geht. Städte wie Kopenhagen, Amsterdam oder auch Straßburg machen dies vor. Wenn Land, Kreis und Kommunen ihre Verkehrsziele für die Zukunft ernst nehmen wollen, kann es nur heißen: keine halben Sachen. Auch dort nicht, wo es teurer und unbequem wird.