Die Corona-Krise hat deutlich gezeigt, wie Produktion und Handel global verbunden sind. Abhängigkeit ist ein Merkmal des Welthandels, Ungerechtigkeit ein anderes. Deshalb haben die Evangelische und die Katholische Kirche im Kreis Esslingen sowie die Gewerkschaften für ihren jährlichen Begegnungstag das Thema gewählt „Global produziert - lokal gekauft. Die Lieferkette im Blick“.
Derzeit wird in Berlin das Lieferkettengesetz diskutiert. Eine zentrale Frage: Welche Unternehmen sollen verpflichtet werden, sich um gute Produktionsbedingungen und Handelswege zu kümmern? Wie können Firmen für Missstände verantwortlich gemacht werden? Bilder wie jene vom Brand einer Textilfabrik in Bangladesch sollen sich nicht mehr wiederholen. Arbeitsbedingungen sollen nicht mehr krank machen, Kinder sollen nicht in Fabriken, Steinbrüchen oder auf Müllhalden schuften müssen.
In vielen Städten und Gemeinden setzen sich Eine-Welt-Initiativen für mehr Fairness ein. Neben Pfarrern und Gewerkschaftern hatten sich deshalb auch Vertreter der Plochinger, Köngener und Nürtinger Initiativen zur Tagung angemeldet - dieses Jahr nicht im Hotel in Mühlhausen im Täle, sondern online - organisiert von Markus Geiger vom Evangelischen Bildungswerk im Kreis Esslingen.
Direkt aus der Bibel leitete der Moderator Romeo Edel das Engagement für die Unterdrückten ab. Der Prophet Jeremia prangerte schon im Jahr 600 vor Christus die Zwangsarbeit an und rief „Schafft Recht und Gerechtigkeit“. Gerechtigkeitsempfinden schaffe aber noch kein Recht, dafür brauche es das Lieferkettengesetz, betonte Edel, der früher Pfarrer in St. Bernhardt-Wäldenbronn war und heute Sozialpfarrer der Prälatur Stuttgart ist.
Bundesweit haben sich viele Organisationen der „Initiative Lieferkettengesetz“ angeschlossen, allein in Baden-Württemberg seien es 34, so Referent Uwe Kleinert von der Werkstatt Ökonomie Heidelberg. Jürgen Groß von der Esslinger IG Metall ergänzte, dass sich Betriebsräte in mehr als
50 Unternehmen dafür einsetzen. Dieses breite Bündnis fordert in einer E-Mail-Aktion insbesondere Wirtschaftsminister Peter Altmaier auf, das Gesetz noch dieses Jahr zu verabschieden.
Die Vereinten Nationen bemühen sich seit vielen Jahren um Normen für Arbeitsbedingungen, oft gegen den Widerstand der Industrienationen. Seit 2013 gibt es wenigstens Leitprinzipien. Doch ohne nationalstaatliche Regelungen blieben diese wirkungslos, sagte Kleinert. Deutschland setzt momentan in seinem Aktionsplan auf Freiwilligkeit: Man erwarte von 50 Prozent der Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern, dass sie diese Normen in ihre Unternehmensprozesse integrieren. Falls das nicht funktioniere, werde man eine gesetzliche Regelung schaffen, heißt es im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD. Laut Kleinert haben sich bislang weniger als 20 Prozent der deutschen Unternehmen der Sorgfaltspflicht gegenüber Menschenrechten verpflichtet.
In der Schweiz wird Ende November das Volk darüber abstimmen, ob Konzerne für Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden haftbar gemacht werden können. In Berlin kabbeln sich dagegen die Koalitionäre. Sozialminister Hubertus Heil (SPD) und Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) wollen Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten in die Pflicht nehmen. Ihr Gegenspieler Altmaier wolle, so Kleinert, die Grenze bei 5000 Beschäftigten ansetzen und keine Sanktionen festlegen. Die seien aber nötig, findet Kleinert. Es gehe um die Sorgfaltspflicht der Unternehmen, um vermeidbare Schäden - nicht um Haftung für das, was sie nicht beeinflussen könnten.
Ob da nur ein Papiertiger herauskomme, fragte sich ein Tagungsteilnehmer. Ein anderer wollte wissen, welche finanziellen Folgen so ein Gesetz für den Verbraucher haben könnte. Die Preise könnten um zwei bis fünf Prozent steigen, glaubt Kleinert, „aber wir können nicht ewig günstige Preise erwarten, die auf dem Rücken dieser Menschen ausgetragen werden“. Schaffe das Gesetz eine Klagemöglichkeit, sei es kein Papiertiger, denn dann würden Unternehmen ihre Lieferketten genauer anschauen.