Zwischen Neckar und Alb

„Die Klinik kommt nach Hause“

Medizin Psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche betreut das Stäb-Team in ihrem gewohnten Umfeld.

Esslingen. Depressionen und Persönlichkeits- oder Angststörungen gehören zu den Krankheiten, die das Stäb-Team regelmäßig behandelt. Stäb steht für „stationsäquivalente Behandlung“: Dabei betreut ein Team aus Sozialpädagogen, Psychologen, Ärzten und Pflegern psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche zu Hause, anstatt stationär im Krankenhaus. Gunter Joas, Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Klinikum Esslingen, hat diese Behandlungsmethode gemeinsam mit seinem Team im November 2019 gestartet.

„Die Klinik kommt nach Hause“, sagt Joas. „Wir sind damit lebensnaher dran an den Patienten und können bessere Lösungen anbieten.“ Die Patienten: Das sind Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 18 Jahren. „Wir betreuen zum Beispiel Jugendliche, die es nicht mehr schaffen, in die Schule oder zu ihrem Ausbildungsplatz zu gehen“, sagt Bettina Koßmann, Oberärztin und Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Jeden Tag, auch am Wochenende, ist das Team im Einsatz, 24 Stunden am Tag in Bereitschaft. Denn bei Notfällen, wie beispielsweise bei Suizidgefahr, kommt der Patient direkt auf die Station. „Wir haben die Möglichkeit, zu tauschen - also dass ein Patient wieder stationär behandelt wird oder andersherum“, sagt Joas.

30 Minuten Fahrzeit entfernt von Esslingen dürfen die Patienten wohnen - in diesem Umkreis betreut das achtköpfige Team Kinder und Jugendliche. Das erfordert eine gute Planung. „Am Anfang steht eine genaue Diagnostik in der Klinik“, sagt Joas. Die medizinischen Tests könne das Team dann auch bei den Betroffenen zu Hause durchführen. Braucht man dafür große Apparate, wie zum Beispiel bei der Kernspintomografie, könne man wieder auf das Klinikum zurückgreifen. „Der Therapieplan kommt dann vom Team“, sagt Joas. Jeder Patient hat seinen eigenen Wochenplan. „Es braucht viel Organisation und Struktur, jedes Zeitfenster muss geplant werden“, sagt Krankenpfleger David Saadeh.

Mindestens eine Stunde am Tag sei jemand in der gewohnten Umgebung des Patienten. „Die Jugendlichen erzählen uns, dass es zu Hause stressiger ist als bei einer stationären Behandlung, da man sich nicht zurückziehen kann“, sagt Joas. Eine Herausforderung für die ganze Familie. Sozialpädagogin Andrea Zug meint: „Die Patienten sind in der Klinik sonst immer in einer anderen Rolle als zu Hause. Wir haben daheim die Chance, die direkte Lebenswelt zu sehen.“ Chefarzt Joas sieht eine weitere Chance: Von Stäb erhofft er sich, dass sich der Bettendruck in der Kinder- und Jugendpsychiatrie abmildert. Denn stationär sei sie bereits über 100 Prozent ausgelastet. Simone Lohner