Zwischen Neckar und Alb

Die Probleme kommen erst noch

Kunst In seinem Plochinger Atelier im Kulturpark Dettinger experimentiert sich der Künstler Wolfgang Thiel erfolgreich durch das Corona-Jahr. Von Petra Bail

Wolfgang Thiel in seinem Atelier.  Foto: Petra Bail
Wolfgang Thiel in seinem Atelier. Foto: Petra Bail

Lan­ge­wei­le kennt Wolf­gang Thiel nicht. Der Stutt­gar­ter Ma­ler, Bild­hau­er und Büh­nen­bild­ner ist auch dann, wenn an­de­re Still­stand und Läh­mung spü­ren, in Be­we­gung - vor­zugs­wei­se in sei­ner zwei­ten Hei­mat, dem Kul­tur­park Det­tin­ger in Plochin­gen. Dort mie­te­te der Künst­ler als ei­ner der Ers­ten ei­nen Ate­lier­raum, mitt­ler­wei­le sind es zwei. Wenn man ihm dort ei­nen Be­such ab­stat­tet, ver­steht man, wes­halb: Die bei­den krea­ti­ven Keim­zel­len quel­len über vor Ma­te­ri­al: viel Holz, Pa­pier auch und Me­tall, da­zu Far­ben, Stif­te, Töp­fe, Tie­gel und was der schöp­fe­ri­sche Mensch sonst noch braucht, um gro­ß­ar­ti­ge Da­men her­zu­stel­len. Frau­en in der Kunst sind sein Mar­ken­zei­chen, groß sind sie im­mer, meist spar­geldünn und oft sel­le­rie­grün - wie in der Aus­stel­lung der Ga­le­rie der Stadt Plochin­gen bis Mai zu se­hen war.

Doch Thiel kann auch an­ders, und er gibt zu, in die­sem Co­ro­na-Jahr, das so vie­le Kol­le­gen schwer beu­telt, gro­ßes Glück ge­habt zu ha­ben. Die Pro­ble­me kom­men noch. „Bei mir wird’s im nächs­ten Jahr hap­pig“, fürch­tet er, da der­zeit kei­ner­lei Pro­jek­te für 2021 ter­mi­niert sind. Auch Raum­ge­stal­tun­gen wie Büh­nen­bil­der und Aus­stat­tun­gen für Opern­in­sze­nie­run­gen sind noch nicht in Sicht. Wolf­gang Thiel kann trotz der Pla­nungs­un­si­cher­heit ru­hig schla­fen. Als ge­stan­de­ner Künst­ler ist er gut ver­netzt und durch ei­nen An­kauf in der Plochin­ger Aus­stel­lung ist die Ate­lier­mie­te für ein paar Mo­na­te be­zahlt, kos­te­te ihn al­ler­dings den Co­ro­na-Zu­schuss. Er sieht’s prag­ma­tisch: „Ich hof­fe, dass dies ein kol­le­gia­les Über­le­ben si­chert.“ Das be­din­gungs­lo­se Grund­ein­kom­men fän­de er ein be­ru­hi­gen­des Mit­tel für al­le Kul­tur­schaf­fen­den.

Auch die Prä­sen­ta­ti­on in Markt­ober­dorf im Land­kreis Ost­all­gäu fand in ab­ge­wan­del­ter Form von Ju­ni bis Ok­to­ber statt und das Künst­ler­ho­no­rar floss. 1400 Qua­drat­me­ter soll­te er in dem All­gäu­er Kunst­haus be­spie­len. Doch die Be­su­cher moch­ten co­ro­na-be­dingt nicht rein. Da ging der er­fin­de­ri­sche Künst­ler mit sei­nen Ar­bei­ten halt nach drau­ßen, plat­zier­te Bil­der und Skulp­tu­ren in Schau­fens­tern, Kos­tü­me und Re­qui­si­ten von Opern­in­sze­nie­run­gen in ver­schie­de­nen Häu­sern und bau­te auf ei­nem Platz ein gan­zes Büh­nen­bild auf - ein­zel­ne Ele­men­te hin­gen so­gar in den Bäu­men. Ro­te Wolfs­spu­ren, ana­log zu sei­nem Vor­na­men, lei­te­ten das Pu­bli­kum auf ei­nem tem­po­rä­ren Skulp­tu­ren­pfad zu den Ex­po­na­ten.

In Bruch­sal konn­te das von ihm mit Ma­jo­li­ka-Ka­cheln ge­stal­te­te Ot­to-Op­pen­hei­mer-Denk­mal nach meh­re­ren An­läu­fen im Sep­tem­ber ein­ge­weiht wer­den, nach­dem die Ar­beit zwi­schen­zeit­lich auf der Kip­pe stand. Sechs Jah­re be­schäf­tig­te sich Thiel mit dem Schick­sal der jü­di­schen Tuch­händ­ler­fa­mi­lie. Was ging sonst noch im Co­ro­na-Som­mer? „Bei mei­ner Toch­ter ha­be ich ar­tig as­sis­tiert“, sagt der 69-Jäh­ri­ge und meint „nicht ein­ge­mischt“. Ja­ni­na Thiel ist Büh­nen­bild­ne­rin und ge­stal­tet, wie der Va­ter, Büh­nen­räu­me für Thea­ter und Oper.

2020 war für ihn, wie für vie­le an­de­re, auch das Jahr des Auf­räu­mens - vor­zugs­wei­se der 54 Schub­la­den mit Skiz­zen, Zeich­nun­gen und Map­pen von Kunst­pro­jek­ten oder auch Wett­be­wer­ben, „die man nicht ge­won­nen hat“, sagt Thiel la­pi­dar und er­zählt von den 80 Zeich­nun­gen für ei­nen Brun­nen in Karls­ru­he. Auch die Skiz­zen für den Bei­trag zur Aus­stel­lung des Ess­lin­ger Kunst­ver­eins, „Ein Mu­se­um auf Pro­be“, die am 5. De­zem­ber ge­star­tet ist, fan­den sich dort. „The Myste­ry of Bo­xes“ ba­siert auf ei­nem bis­lang nicht ver­wirk­lich­ten Kon­zept, das Thiel für die Stadt Stutt­gart ent­wor­fen hat, das sich aber pri­ma auf Ess­lin­gen über­tra­gen lässt, wo we­nig ak­tu­el­le Kunst im öf­fent­li­chen Raum prä­sent ist. In ei­nem Köf­fer­chen zeigt Thiel an­hand von Mo­del­len, die mit Holz­hus­sen ver­hüll­te Denk­mä­ler im öf­fent­li­chen Raum dar­stel­len, was er meint.

„Ich ha­be vie­le Schub­la­den­pro­jek­te und Ex­po­sés in der Hin­ter­hand“, ver­rät er. Wenn Thiel nicht ent­wirft und tüf­telt, dich­tet und denkt er: Dreh­bü­cher, Thea­ter­stü­cke und so­gar ein sa­ti­ri­sches Ta­ge­buch zu „Stutt­gart 21“ hat er ge­schrie­ben. Im­mer wie­der ent­steht Neu­es, wenn er sich wie ein For­scher im La­bor durch die zahl­rei­chen Ma­te­ria­li­en in sei­nem Ate­lier spielt. „Das ist ein Aben­teu­er“, sagt er und ver­weist auf sei­ne jüngs­te Ar­beit, ei­ne sit­zen­de Frau­en­fi­gur aus rost­far­be­nem Me­tall.

Und dann ist da noch der neue Schau­raum im Ate­lier­be­reich des Kul­tur­parks Det­tin­ger, der ge­ra­de fer­tig ge­wor­den ist. Dort wol­len die Dau­er­mie­ter Wer­ner Foh­rer, Ve­re­na Kö­nek­map, Ibra­him Ko­ca­o­g­lu, Ma­nue­la Tir­ler und Wolf­gang Thiel künf­tig Ver­an­stal­tun­gen, Vor­trä­ge, Se­mi­na­re und Aus­stel­lun­gen zu­sam­men ver­an­stal­ten. So viel Ge­mein­schafts­sinn von Ein­zel­kämp­fern gab’s im Haus noch nie. Das Kon­zept steht, man darf ge­spannt sein.