Zwischen Neckar und Alb

Dörrobst war das höchste der Gefühle

Weihnachten Das größte Fest der Christenheit fiel in früheren Zeiten ziemlich spartanisch aus. Vielen fehlten die Mittel für teure Speisen und Geschenke. Daniela Haußmann

Der Adventskranz gehört für die meisten Menschen zur Adventszeit dazu.Foto: Carsten Riedl
Der Adventskranz gehört für die meisten Menschen zur Adventszeit dazu.Foto: Carsten Riedl

Der Tannenbaum, das Jesuskind in der Krippe, süße Leckereien und ein üppiger Festschmaus - für viele ist das Teil einer uralten Weihnachtstradition. Doch die meisten Bräuche sind erst vor relativ kurzer Zeit erfunden worden, sagt Franz Weiss vom Förderverein für Archäologie, Kultur und Tourismus (FAKT) in Erkenbrechtsweiler. An historischen Schauplätzen, in alten Gemäuern und Archiven ist der Hobby-Archäologe schon auf so manche Spur aus grauer Vorzeit gestoßen. Deshalb kennt er sich auch in punkto Weihnachten bestens mit regionaler Geschichte aus.

Wie so gut wie jeder Bissinger weiß, lag seit 1267 nah am Gießnaubach das Hofgut Kinne. Durch die Stauung des Gewässers entstand laut Franz Weiss der gleichnamige Kinnesee, der eine rund zwei Hektar große Fläche bedeckte. In ihm wurden Forellen und Karpfen für die Fastenzeit an Ostern und Weihnachten gezüchtet. „Weil Fisch teuer und schwer zu bekommen war, kam die kostspielige Speise nur bei Adeligen auf den Tisch, die das Hofgut in der Zeit vor Heiligabend versorgte“, so Weiss. Kinne wurde Mitte des 15. Jahrhunderts aufgegeben, der See 1623. Spätestens danach dürften sich Forellen und Karpfen zu einem noch wertvolleren Fastenschmaus entwickelt haben.

Deutlich spartanischer speisten die Bauern. Das im Herbst eingesammelte Obst wurde gedörrt, klein geschnitten, mit Teig vermengt und zu Obstbrot ausgebacken. Erst im 18. Jahrhundert verbreitete sich mit dem Kolonialismus auch Zucker in der Teckregion. „Die ersten Süßigkeiten gab es in Städten wie Kirchheim zu kaufen. Der ländliche Raum zog langsam nach“, erzählt Franz Weiss. In Bissingen beispielsweise gab es in der Kelterstraße 6 einen Kolonialwarenladen. Der verkaufte alles, was man zum Kuchen- und Plätzchenbacken in der Weihnachtszeit brauchte. Die Kinder bekamen zum Fest in erster Linie Nützliches, wie zum Beispiel Schuhe. In ärmeren Haushalten gab es das alte Geschenk vom Vorjahr. „Dem wohnte auch ein erzieherischer Gedanke inne“, sagt Weiss. „Schon die Kleinsten sollten lernen, dankbar zu sein für das, was ihnen der Herrgott gegeben hatte.“

Das Schenken an Heiligabend wurde durch die Reformation zum Brauch. „Davor betete man in der Kirche Rosenkränze, und die ältesten Frauen kamen auch an Weihnachten ihrer Aufgabe als Vorbeterinnen nach“, sagt der Hobby-Historiker. Ab dem 15. Jahrhundert wurden infolge der Reformation und Luthers Wirken Weihnachtslieder auch im Volksmund gesungen. So entwickelte sich laut Weiss bei der einfachen Bevölkerung der Brauch, an Heiligabend von Tür zu Tür zu ziehen, um den Menschen eben diese Lieder vorzutragen. Begonnen wurde am Haus des Ortsvorstehers. Allerdings ist diese Tradition bei vielen in Vergessenheit geraten, auch im Landkreis Esslingen.

Und während sich der eine oder andere derzeit auf den bunten Christbaum in der warmen Wohnstube freut, schmückten die Menschen vor mehr als 600 Jahren ihre Häuser mit nichts weiter als einem grünen Nadelzweig oder ein wenig Efeu. Der Tannenbaum als ein Symbol der Weihnachtszeit fand laut Franz Weiss erst ab dem 15. Jahrhundert allmählich Verbreitung: „Er wurde, wie heute noch der Maibaum, lange nur in der Ortsmitte aufgestellt.“ Der Weilheimer Stadtführer Wilhelm Braun erinnert sich gut daran, wie sich die jungen Burschen in Hepsisau an Weihnachten wild anzogen. „Verkleidet als ‚Belzmärte‘ klopften sie johlend an Türen und Fensterläden“, erzählt der 81-Jährige. „Kinder, die was auf dem Kerbholz hatten, bibberten bis der Spuk vorbei war.“

An den vier Donnerstagen vor den Adventssonntagen war es in Brauns Kindheit Brauch, zu Nachbarn, Bekannten und Verwandten zu gehen, um höflich um eine „Einreiche“ zu bitten. In der Regel gab es dann Nüsse, Äpfel oder Dörrobst. Mehr konnten die Leute nicht entbehren. Trotzdem hätten sich die Kinder gefreut, auch wenn das Fest deutlich bescheidener ausgefallen sei als heute.