Die Luft brennt, der Boden vibriert und es ist wahnsinnig laut - so beschreibt Swaantje Güntzel den Alltag auf dem Betriebsgelände von Kaatsch. Schon beim ersten Besuch im Plochinger Hafen Anfang des Jahres ist ihr aufgefallen: „Es ist physisch zu spüren, wie groß der Aufwand ist, Wertstoffe als Werkstoffe weiterverwenden zu können.“ Das Projekt „Drehmoment“ der Kulturregion Stuttgart bringt sie und 34 weitere Künstler mit Firmen in 22 Mitgliedskommunen zusammen. Die dabei entstandenen Werke werden bei einem Produktionskunst-Festival im Oktober präsentiert.
In Plochingen scheinen Kunst und Industrie inzwischen gut zu harmonieren. Das städtische Amt für Kultur und Tourismus hatte für die regionale Aktion schnell die Recyclingfirma im Blick, die kürzlich ihr 70-jähriges Bestehen feierte und deren Firmengelände mit den großen Schrottbergen am Neckar „sicher stadtbildprägend“ sei, wie Amtsleiterin Susanne Martin erklärt. Der künstlerische Leiter des Projekts „Drehmoment“, Benjamin Heidersberger, vermittelte Swaantje Güntzel. Die Hamburgerin hat ihre Arbeit der vergangenen zehn Jahre vor allem der Verschmutzung der Weltmeere durch nicht recycelten Müll gewidmet. In Bild, Fotografie, Performance, Skulptur, Installation und Video versucht sie, das Problem in die Öffentlichkeit zu rücken. Viel Energie für den Wertstoffkreislauf.
Vor Kurzem hatte die Künstlerin zwei Wochen lang einen eigenen Schreibtisch im Verwaltungsgebäude von Kaatsch am Nordseekai. Sie sei selten an einem Ort gewesen, wo sie so unterstützt wurde, schwärmt Güntzel beim Interview dort. Morgens recherchierte die Mittvierzigerin am PC ihres Interimsarbeitsplatzes, danach ging es in der gelben Warnweste auf den „Schrottplatz“ - wo die Rohstoffe getrennt, sortiert und zur Weiterverwertung bearbeitet werden. Und Güntzel beobachtete alles, die Abläufe, das Verhalten, sie schaute, roch, spürte. „Es gibt eine Kranbrücke über die Schrottberge“, antwortet sie auf die Frage nach ihrem Lieblingsort. „Der Blick ist phänomenal, aber es ist wahnsinnig laut.“
Güntzels Fazit: „Es ist alles in Bewegung, eine unfassbare Dynamik, die einen aufwühlt.“ Diese hält sie nun visuell fest. Die Wucht, mit der Metallteile in eine Schütte fallen, fängt sie in einer Formschaumplatte am Boden des Gefäßes auf. Ein blaues Relief entsteht, in das sich all die Gegenstände hineingebohrt haben. Die Bewegung eines Baggers und eines Lkws verfolgt sie mit GPS-Trackern, die Bewegungsmuster werden auf Tischsets gestickt. Zudem will Güntzel mit dem ersten E-Bagger bei Kaatsch „malen“ - eine der größten Aktionen ihrer künstlerischen Karriere. Zu sehen sein wird am Ende unter dem Titel „Loops“ eine Serie ganz unterschiedlicher Werke mit einem Thema.
Für Güntzel ist die Arbeit bei Kaatsch ein Aspekt ihres bisherigen Ansatzes. Diesmal geht es aber offenbar zumindest nicht primär um Kritik. „Ich finde es beeindruckend, was man auf sich nimmt, um einen Wertstoffkreislauf zu generieren“, sagt die Künstlerin. Recycling sei ein Lösungsansatz, damit wir weiter konsumieren können. Und bei Kaatsch hat sie den Eindruck, dass die Firma sich tatsächlich damit identifiziert, langfristig den Planeten zu schützen.
Dennoch bleibt die Hamburgerin bei ihrem Grundsatz, dass Müllvermeidung der erste Schritt sein muss - „und dann kommt Recycling“. Oft, so ist Güntzels Erfahrung, erzeugt sie damit eine Abwehrhaltung, manchmal schlage ihr sogar „purer Hass“ entgegen - aus schlechtem Gewissen. Beim Projekt mit Kaatsch erwartet sie weniger aufgeheizte Reaktionen. Schließlich ist die Botschaft eine positive: „Recycling, die siebte Ressource, das Modell der Zukunft“.