Zwischen Neckar und Alb

Drei Eidechsen und 30 Medienleute

Neubaustrecke Was bringt das SWR-Fernsehen, das ZDF, SAT.1, die Deutsche Presseagentur, das Deutschlandradio und noch viele mehr nach Oberboihingen? Genau drei Zauneidechsen. Von Peter Dietrich

Großes Medienaufgebot im neuen Habitat der kleinen Zauneidechsen in Kirchheim.Fotos: Peter Dietrich
Großes Medienaufgebot im neuen Habitat der kleinen Zauneidechsen in Kirchheim. Foto: Peter Dietrich

Zugegeben, die Zahl von 30 Medienleuten ist nicht ganz genau gezählt. Doch was da unterhalb des Kreisverkehrs nördlich von Oberboihingen wuselte, das waren gestern keine Zauneidechsen, sondern Kameraleute, Journalisten mit Schreibblock und Aufnahmegeräten, Tonleute mit Mikrofonangeln sowie Bahnsprecher und Biologen, die geduldig Auskunft gaben.

Dass der Andrang so groß war, liegt daran, dass die Bahn die Eidechsenaufsammler in Ruhe arbeiten lassen will, es soll nicht jeden Tag ein anderes Medienteam anrücken. So wurde alles auf einen einzigen Termin gebündelt. Insgesamt 250 Zauneidechsen will die Bahn entlang dem Planfeststellungsabschnitt 2.1a/b „Albvorland“ aufsammeln, also von der Wendlinger Neckarbrücke bis kurz hinter Kirchheim. Noch bis Ende dieser Woche dauert die jagd auf die Reptilien.

Das geht am besten, wenn die Sonne scheint, was gestern leider selten der Fall war - denn nur bei Sonne kommen die Zauneidechsen heraus. „Man braucht Geduld“, sagte die Biologin Lisa Rager. „Die kommen immer wieder an derselben Stelle heraus.“ Das könne bedeuten, dass man auch mal zehn bis 15 Minuten warten müsse. „Da oben ist noch eine Eidechse, ich weiß wo, die sammle ich heute noch.“ Rager zeigt die kleine Schlinge aus einer textilen Angelschnur, die an einer langen Rute befestigt ist. Die Schlinge verletze die Eidechse nicht, der Fang komme dann in einen Stoffbeutel. Die Weibchen kommen danach für den Transport ins Terrarium, die Männchen müssen im Beutel bleiben. Sie sind zu aggressiv und würden sich sonst gegenseitig angreifen. Beim ersten Exemplar von Rager hat das Einfangen gut geklappt. „Ich wäre fast draufgelaufen.“ Braucht man für diese Tätigkeit ein Biologiestudium? Es helfe, meinte Rager, man könne sein Tun dann besser einschätzen. „Man darf keine Scheu vor den Tieren haben.“

Problem mit Schwanzabwürfen, erzählte die Diplom-Mineralogin Sandra Panienka, habe es bisher keine gegeben. Das passiere eher bei den Mauereidechsen. Die Tiere schützen sich damit vor Fressfeinden, denen sie ihren Schwanz überlassen und dann entkommen können. Gesammelt werden darf nur bis Ende Mai vor der Eiablage, dann erst wieder von August bis September.

Wie viel Platz steht einer Zauneidechse zu? Es sind 150 Quadratmeter, für ein Paar also 300 Quadratmeter. Rund fünf Hektar Ersatzflächen hat die Bahn deshalb erworben und hergerichtet. Es wurden Sandlinsen und Steinriegel angelegt, wobei die Steinhaufen einen Meter in die Tiefe gehen, bis unterhalb der Frostgrenze von 80 Zentimetern. Die dafür ausgegrabene Erde wird auf der Rückseite der Steinriegel aufgeschüttet und sorgt für Windschutz.

Im Medientross ging die knapp zehn Kilometer lange Fahrt nach Kirchheim, wo in der Nähe des Industriegebietes Bohnau ein neues Habitat geschaffen wurde. Ein Jahr lang bleibt es eingezäunt, fünf Jahre lang wird es in einem Monitoringverfahren überwacht, 30 Jahre lang von der Bahn gepflegt.

Behutsam entließ Panienka die Tiere in ihre neuen Heimat, an die sie sich zuerst einmal gewöhnen müssen. Nicht alle Tiere werden überleben, erwartet der Biologe Dr. Stefan Blum, doch die Quote werde hoch sein. Anders, als wenn man die Tiere an ihrem Ort belasse, wo zum Bau der Wendlinger Kurve kein Stein auf dem anderen bleibe. „Dort würden 95 Prozent der Tiere sterben.“ Wenn die Bauarbeiten vorbei sind, kehrten andere Eidechsen aus der Nähe zum Bahndamm zurück, ganz ohne menschliches Zutun.

Insgesamt, sagte der Bahnsprecher Jörg Hamann, koste die Umsiedlung einer Eidechse zwischen 2 000 und 4 000 Euro. Das ist viel Geld. Aber zum einen bleibt der Bahn angesichts der gesetzlichen Vorgaben keine andere Wahl, sonst darf sie nicht bauen. Zum andern bleibt da noch die ganz grundsätzliche Frage, wie man den Wert des Lebens in totem Geld bemessen will.

Diplom-Mineralogin Sandra Panienka lässt die Zauneidechsen in ihrem neuen Habitat in Kirchheim wieder frei.
Diplom-Mineralogin Sandra Panienka lässt die Zauneidechsen in ihrem neuen Habitat in Kirchheim wieder frei. Foto: Peter Dietrich
Umsiedlung von Eidechsen - Eingesammelte Zauneidechse im Terrarium
Umsiedlung von Eidechsen - Eingesammelte Zauneidechse im Terrarium. Foto: Peter Dietrich