Zwischen Neckar und Alb

„Durch persönliche Begegnungen kippen viele Vorurteile“

Flüchtlingsarbeit Die Sozialarbeiterin Saime Ekin-Atik sieht die Ehrenamtlichen als entscheidende Brücke zur Integration, denn Ämter können das nicht leisten. Von Roland Kurz

Saime Ekin-Atik vernetzt die Akteure. Foto: Andreas Kaier
Saime Ekin-Atik vernetzt die Akteure. Foto: Andreas Kaier

Schätzungsweise 5 000 ehrenamtliche Helfer kümmern sich um die Bedürfnisse und die Integration von Flüchtlingen im Landkreis Esslingen. Saime Ekin-Atik ist seit Juli 2015 Kreiskoordinatorin der ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit. Sie versucht, die örtlichen Arbeitskreise zu vernetzen, sie mit Informationen zu versorgen und sie vermittelt, wenn Konflikte mit Ämtern entstanden sind.

Für wie viele Arbeitskreise und ehrenamtliche Flüchtlingshelfer sind Sie zuständig?

Saime Ekin-Atik: Eigentlich bin ich nicht direkt für Arbeitskreise zuständig, denn es gibt 17 Koordinationsstellen in den Rathäusern. Der Landkreis hat im Mai 2015 ein Konzept zur Begleitung des bürgerschaftlichen Engagements in der Flüchtlingshilfe vorgestellt. Dadurch können kommunale Koordinationsstellen durch den Kreis zu 75 Prozent finanziert werden. Aber nicht alle kleineren Gemeinden haben eigene Koordinatoren. Deshalb versorge ich 28 Arbeitskreise direkt mit Informationen. Aber es gibt auch viele Menschen, die unverbindlich helfen, lose Gruppen und Nachbarn, die gelegentlich eingreifen. Wahrscheinlich sind noch mal so viele Menschen in irgendeiner Weise behilflich.

Was erwarten die Arbeitskreise von Ihnen?

Viel. Die Arbeitskreise legen Wert auf einen direkten Draht zum Landratsamt, weshalb ich immer mal wieder Veranstaltungen mache, zu denen jeder AK einen Vertreter schicken kann. Bei meinen Besuchen vor Ort bekomme ich einen Einblick, um zu verstehen, was die Ehrenamtlichen in ihren vielen E-Mails wollen. Als Sozialarbeiterin ist mir zunächst mein Mandat wichtig, das Ehrenamt in den Gremien der Kommunen zu vertreten.

Was koordinieren Sie konkret?

Zum einen bin ich Fachberaterin für die Kommunen, wenn diese eine Koordinierungsstelle einrichten. Ich stehe in Kontakt mit vielen Institutionen, kirchlichen Trägern und anderen Akteuren und vernetze sie. Auch Firmen kommen auf mich zu, wenn sie in der Flüchtlingshilfe aktiv werden wollen. Und dann tauchen immer wieder typische Probleme mit Ausländerrecht oder Sprachkursen auf. Ein Flüchtling könnte zum Beispiel eine Ausbildung antreten, kann aber das Sprachniveau noch nicht vorweisen. Die Helfer fragen mich dann, ob ihr Schützling nun die Lehrstelle absagen muss.

Und wie können Sie da helfen?

Ich kann bei unseren Behörden nachhaken und schauen, ob es Wege gibt, etwa eine Kombimaßnahme Sprachkurs plus Ausbildung über das Jobcenter. Es gilt aber auch, Klartext zu reden: Ohne B2 schafft ein Flüchtling die Ausbildung nicht. Man muss auch die Lebenslage sehen, in der Flüchtlinge stecken. Sie haben oft in der Berufsschule nur zwei Stunden Deutsch.

Welche Flüchtlinge dürfen überhaupt eine Ausbildung machen?

Im Sommer hatten wir darüber eine ausführliche Diskussion. Die sieben Ausländerbehörden im Kreis handhaben ihr Ermessen zum Teil unterschiedlich. Für uns im Landratsamt steht fest: Der Flüchtling muss eine Bleibeperspektive haben.

Gibt es noch andere typische Konflikt­situationen?

Ich muss immer wieder die Mittlerrolle übernehmen, wenn Flüchtlinge aus der Turnhalle in die Anschlussunterbringung verlegt werden. Die Geflüchteten können nicht in jedem Fall im bisherigen Ort bleiben, auch wenn sie sich dort gut integriert haben.

Welche Rolle hat das Ehrenamt, wenn der Flüchtling in die Anschlussunterbringung gewechselt hat und sich eine längere Pers­pektive bietet?

Die Beziehungsebene ändert sich. Es sind nicht mehr Kontakte zwischen Gruppen. Oft sind Freundschaften entstanden. Deshalb versuchen wir auch, beim Wechsel die Beziehung zu wahren.

Sehen Sie die Gefahr, dass sich Ehrenamtliche zu viel zumuten?

Den Ehrenamtlichen fällt die Überforderung nicht immer gleich auf. Ich bin selbst auch ehrenamtlich tätig und weiß, wie schwer es ist, aufzuhören. Das empfindet man als Versagen. Bei den Treffen der Koordinatoren und des Kompetenzteams ist Supervision ein Thema. Einige Gemeinden bieten das bereits für die Helfer an. Wir müssen eine Form der Supervision finden, die Ehrenamtliche annehmen, denn viele von ihnen wollen lieber praktisch arbeiten als für sich zu sorgen.

Sind es die Geschichten der Flüchtlinge, die Helfer zu stark belasten?

Auch. Die Flüchtlinge haben zum Teil viel Leid erfahren und laden nun ihre psycho-sozialen Probleme ab. Oft sind es Männer, die sich um ihre Familie sorgen, und die Ehrenamtlichen teilen dann die Sorge, wie die ganze Familie herkommen könnte. Es sind aber auch die Strukturen bei uns, die Ehrenamtliche fordern.

Die Ehrenamtlichen erledigen aber auch Dinge, die eigentliche staatliche Aufgabe wären.

Das ist sicher so. Sie machen zum Teil sehr professionelle Arbeit und schöpfen aus ihrer großen Lebenserfahrung. Inzwischen klappt auch die Kommunikation zwischen den Ehrenamtlichen und den Ämtern besser. Nützlich waren da die vielen Info-Veranstaltungen zum Beispiel des Jobcenters, bei dem es um das Ausfüllen von Anträgen ging oder die Veranstaltung über die Kranken-Hilfe. Flüchtlinge erhalten eine beschränkte medizinische Versorgung, deshalb müssen manche Leistungen vorher vom Gesundheitsamt genehmigt werden.

Wird das Engagement der Ehrenamtlichen in der Gesellschaft allgemein geschätzt oder sehen Sie sich mit Schmähungen oder Hass-Mails konfrontiert?

Beides. In der Anfangsphase hat nahezu die ganze Bevölkerung geholfen. Bestes Beispiel ist, als drei Tage lang Flüchtlinge in der Esslinger Schelztorhalle versorgt wurden. Durch Begegnungen sind auch viele Vorurteile gekippt. Es wurden viele Menschen ins Boot geholt, die vorher nichts mit Flüchtlingen zu tun haben wollten. Das ist eine Leistung der Ehrenamtlichen und der Arbeitskreise. Hassmails gibt es zwar auch, aber die Bevölkerung ist insgesamt positiv eingestellt.

Was kommt auf die Ehrenamtlichen und somit auch auf die Koordinatoren in Zukunft zu?

Die Aufnahme der Flüchtlingskinder in Kindergarten und Schule wird ein Zukunftsthema. Wir sind dabei, nicht nur die Arbeitskreise besser zu vernetzen, sondern auch die freien Träger. Unser Rahmenplan zur Integration sieht vor, dass wir über die Kompetenzteams und die Kreisarbeitsgemeinschaft die Integrationsbereiche Sprache, Wohnen, und Ausbildung gezielt aufarbeiten.