Zwischen Neckar und Alb

Ein Ausreiseantrag führt zur Verhaftung

Wanderausstellung Menschen, die zum Teil längst hier in der Region angekommen sind, erzählen ihre Geschichten von Flucht, Migration und Vertreibung. Heute: Kathrin Schwarz aus Gera.

Kathrin Schwarz musste in der DDR in Haft.Foto: Natalia Zumarán
Kathrin Schwarz musste in der DDR in Haft. Foto: Natalia Zumarán

Göppingen/Kirchheim. Mit gerade einmal 18 Jahren ist Kathrin Schwarz im Gefängnis gelandet. Der einzige Grund für ihre Verhaftung war, dass sich ihr politisch interessierter Vater eine gute Zukunft für sie und ihre Schwester wünschte. „Er wollte legal ausreisen und hat im April 1984 einen Antrag gestellt. Dass man dafür eingesperrt wird, das war uns nicht klar“, erzählt Kathrin Schwarz, die aus Halle an der Saale stammt. Der Ausreiseantrag wurde abgelehnt. Die Familie beschloss daraufhin, noch einen Vorstoß zu wagen und plante dazu, mit der Bahn nach Berlin zu reisen. Doch soweit kam es nicht. „Am 9. Oktober 1984 haben sie uns am Bahnhof verhaftet. Sie sagten dabei diesen gefürchteten Satz: ‚Kommen Sie mit zur Klärung eines Sachverhalts‘.“

Stundenlang einzeln verhört

Jedes Familienmitglied musste allein in eines der vier wartenden Autos steigen, ohne zu wissen, was mit den anderen passieren, wann man sich wiedersehen würde. Kathrin Schwarz und ihre Angehörigen wurden stundenlang verhört, dann kamen sie in Untersuchungshaft.

„Man wurde wie der letzte Dreck behandelt“, sagt sie über diese Zeit, in der ihr Handschellen angelegt wurden und ihre Schuhe keine Schnürsenkel hatten, weil man Suizidversuche befürchtete. Dass ihre Familie im gleichen Untersuchungsgefängnis saß, hat Kathrin Schwarz durch eine inoffizielle Form der Kommunikation unter den Häftlingen erfahren. „Über Klopfzeichen und Zwischenhäftlinge habe ich mich mit meinen Eltern verständigt.“

Nach 22 Wochen in Untersuchungshaft verurteilte ein Richter schließlich Kathrin Schwarz und ihre Schwester „im Namen des Volkes“ zu einem Jahr Haft, die Mutter erhielt eine eineinhalbjährige Freiheitsstrafe, der Vater eine zweijährige. Kathrin Schwarz wurde in ein Gefängnis bei Gera gebracht, wo sie in Schichtarbeit Taschentücher nähte. „Seitdem mag ich keine Stofftaschentücher mehr.“ Post von den Eltern, die andernorts inhaftiert waren, bekam sie nur selten. Wenn Briefe kamen, waren sie stellenweise geschwärzt, manchmal auch zerschnippelt. Immer wieder hat sich Kathrin Schwarz in dieser Zeit gefragt: „Was habe ich eigentlich verbrochen?“ Im Rückblick ist sie fasziniert, was ein Mensch alles aushalten kann.

Vor der Inhaftierung hatte Kathrin Schwarz Verwandten im Westen geschrieben, dass der Vater einen Ausreiseantrag gestellt habe. Als die Angehörigen von der Verhaftung der Familie hörten, baten sie den damaligen Ministerpräsidenten Nordrhein-Westfalens, Johannes Rau, um Hilfe. Und tatsächlich kam Bewegung in die Sache. Nach zehn Monaten Haft wurden die Mitglieder der vierköpfigen Familie aus ihren Haftanstalten ins Ministerium für Staatssicherheit gebracht und zusammen mit anderen Ausreisewilligen in einen Bus verfrachtet. Der DDR-Anwalt Wolfgang Vogel, der Unterhändler beim Häftlingsfreikauf war, befand sich ebenfalls in diesem Bus und hielt eine Ansprache. „Danach hat er gefragt, wo mein Vater sitzt und ihm dann eine Karte gegeben. Auf der stand, dass er sich bei Ministerpräsident Rau bedanken soll“, erzählt Kathrin Schwarz.

Die Region ist ihre Heimat

Die Verwandten in Duisburg waren erste Anlaufstelle für die Familie. Schwester und Vater fanden sofort Arbeit, Kathrin Schwarz machte eine Weiterbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann und arbeitete in einer Spedition. Als ihre Eltern nach Süddeutschland zogen, kam sie mit. „1987 bin ich nach Schwaben gekommen“, erzählt Kathrin Schwarz, die in Göppingen lebt und eine fast erwachsene Tochter hat. Heimatliche Gefühle, die hat sie für die Region Stuttgart. Über ihre Vergangenheit spricht sie eher selten: „Ich bin gottfroh, dass wir es geschafft haben und in einem gewissen Maß auch stolz darauf.“pm

Diese Geschichte ist Bestandteil der Wanderausstellung „Angekommen“, die am 12. Oktober um 16 Uhr im Kirchheimer Rathausfoyer eröffnet wird und bis zum 23. November dort zu sehen ist. Dargestellt werden Schicksale von Menschen, die ihre Geschichten von Flucht und Ankommen erzählt haben.