Zwischen Neckar und Alb

Ein Halbschmarotzer auf dem Vormarsch

Natur Bei Mistelbefall ist schnelles Eingreifen erforderlich. Besonders gefährdet sind Apfelbäume.

Jens Häußler und Christel Schäfer.
Jens Häußler und Christel Schäfer. Foto: Peter Dietrich

Esslingen. Im Rückblick kann es Jens Häußler von der Obst- und Gartenbauberatung des Landratsamts Esslingen kaum glauben: In einem Gartenbuch aus den 60er- oder 70er-Jahren hat er eine Anleitung gefunden, wie man auf seinen Apfelbäumen Misteln wachsen lassen kann. Heute hingegen sei dieser Halbschmarotzer auf dem lästigen Vormarsch und werde bekämpft.

Halbschmarotzer deshalb, weil die Mistel auch eine eigene Photosynthese betreibt, im Wesentlichen aber den Apfelbaum aussaugt, ihm Wasser und Nährstoffe entzieht. Es muss zwingend ein Apfelbaum sein, denn ein Birnbaum kann sich wehren: Will sich bei ihm eine Mistel ansiedeln, lässt er die befallenen Zellen absterben. Diesen Dreh hat der Apfelbaum nicht raus. „Früher waren Misteln nur auf alten Bäumen zu finden“, sagt Häußler. Doch heute sei der Befallsdruck so groß, dass Bäume jeden Alters betroffen seien. Der zunehmende Befall sei auch eine Folge der nachlassenden Baumpflege. Ohne regelmäßigen Schnitt verliert der Baum an Vitalität, auf geschwächten Bäumen können sich Misteln besser ansiedeln. Sie werden bis zu 30 Jahre alt. Wird nicht rechtzeitig eingegriffen, stirbt der Baum.

Es gibt männliche und weibliche Misteln, die weiblichen haben weiße Beeren mit einem klebrigen Schleim. Putzt sich ein Vogel an einem Baum den klebrigen Schnabel, bleibt der Samen am Baum hängen. Stimmen, die fordern, Misteln als Winternahrung für Vögel zu belassen, widerspricht Häußler, das sei nicht nötig.

Manche denken noch, die Mis­teln stehen unter Naturschutz. „Nein, sie sind nicht geschützt und können bedenkenlos entfernt werden“, sagt Häußler. Nur wer Mis­teln gewerblich vermarkten wolle, zum Beispiel mit einem Stand auf dem Weihnachtsmarkt, der brauche eine Genehmigung. Auch Christel Schäfer, 1. Vorsitzende des Kreisverbands der Obst- und Gartenbauvereine Esslingen, beobachtet die Zunahme der Misteln.

Doch wie wird eine Mistel entfernt? Das erläutert Schäfer immer wieder bei ihren Frauenschnittkursen. Die Mistel hat Ausläufer im Baum, deshalb muss der Ast mindestens 20 Zentimeter unterhalb abgesägt werden, sonst treibt die Mistel wieder aus. Wenn ein Leit­ast oder sogar der Stamm befallen ist, dann solle die Mistel ersatzweise regelmäßig ausgebrochen oder abgesägt werden. Ganz wichtig: Die Misteln gehören nicht auf den Kompost. Sonst könnten dort Vögel die Beeren fressen, und durch direkten Kontakt mit Bäumen oder über den Kot der Vögel beginne das Ganze von vorne. Viel besser sei der Schnittgutsammelplatz. Schäfer ermuntert die Gütlesbesitzer, sich um das Problem zu kümmern und so den befallenen Baum zu retten: „Es wäre doch schade um so alte Bäume.“ Peter Dietrich