Zwischen Neckar und Alb

Ein Haufen Arbeit

Im Regierungspräsidium werden die Abiturprüfungen zur Zweitkorrektur an andere Gymnasien verteilt

Farben und Chiffren helfen beim Sortieren der Abiarbeiten. Organge steht für Plochingen, wo auch die Klausuren aus dem Kreis Esslingen gesammelt werden, bevor sie nach Stuttgart ins RP kommen. Foto: Roberto Bulgrin

Kreis Esslingen. Der Blick in den Raum im Erdgeschoss des Stuttgarter Regierungspräsidiums (RP) erinnert an ein buntes Bällebad. Nur dass sich hier in dieser Woche alles um größere Kinder, nämlich Abiturienten, und das ernste Thema Abschlussprüfung gedreht hat. Fast 54 000 Abiturprüfungen aus dem Stuttgarter Regierungsbezirk lagen über den gesamten Tag verteilt in dem Raum, darunter auch die Arbeiten aus dem Kreis Esslingen. Sie werden dort jedes Jahr der Zweit- und in einem weiteren sogenannten Umschlag der Endkorrektur-Schule zugeordnet, bevor die Mappen abermals im RP landen und an die Ausgangsschule zurückgehen. In dieser Woche wanderten die Arbeiten von den allgemeinbildenden Gymnasien, an denen die knapp 13 400 Schülerinnen und Schüler ihre Prüfungen geschrieben hatten, zu den Einrichtungen, die für die Zweitkorrektur verantwortlich sind.

Mit Transportern chauffiert eine Spedition beispielsweise die Prüfungen von Plochingen, wo alle Arbeiten der 1 776 angehenden Gymnasialabsolventen des Kreises Esslingen gesammelt werden, nach Stuttgart-Vaihingen. Dort sortieren die Helfer, insgesamt sind etwa 30 Arbeitskräfte für den kompletten Prozess vonnöten, die bunten Mappen, wobei orange für Plochingen steht. Chiffren auf den Mappen weisen den Sortierern den Weg zum richtigen Stapel. Die Zahlen werden zufällig bestimmt und auf die Mappen geklebt, erklärt Michael Kilper, Referatsleiter für allgemeinbildende Gymnasien beim RP. Die Lehrer sollen schließlich nicht wissen, für welche Schule sie die Zweit- oder Endkorrektur übernehmen. Neutralität und Unbefangenheit sind groß geschrieben.

An den vielen Tischen prangen ebenfalls Chiffren, und diesen ordnen die Mitarbeiter die jeweiligen Mappen zu. So stapeln sich mit zunehmender Zeit immer mehr Abiturprüfungen. Außerdem kommen weiterhin Transporter mit neuen Arbeiten an. Konzentration ist gefragt, schließlich sollte keine Prüfung auf einem falschen Stapel landen. Die Laune ist dennoch gut. „Das ist Krafttraining“, sagt ein Helfer, als er die Verschnürung eines neuen Stapels mit einem Teppichbodenmesser auftrennt. „Und ebenso Laufarbeit“, ergänzt eine Helferin und trägt einige Prüfungsmappen an eine andere Stelle. Auch der Regierungspräsident Johannes Schmalzl schaut im Erdgeschoss des Hauptgebäudes vorbei, lobt die Arbeit seiner Kolleginnen und Kollegen und ergänzt: „Wenn nur eine Prüfung fehlt, dann ruft vielleicht die Tagesschau an, oder wir kommen auf die Titelseite. Aber wenn bei 80 000 Prüfungen alles okay läuft, dann gibt‘s ‘ne kleine Meldung.“

Die Zahl ergibt sich aus den Prüfungen der allgemeinbildenden und der beruflichen Gymnasien, wobei deren Umschlag einen eigenen Termin hat. Aber auch die fast 54 000 allgemeinen Abiturarbeiten bergen Risikopotenzial – und damit sind nicht nur Fehler beim Sortieren gemeint. Auch Ganoven haben es manchmal auf die Prüfungen abgesehen. Sowohl bei den Transporten als auch im Umschlagsraum sei versucht worden, Klausuren zu entwenden. Auch ein Tresor aus einer Schule, wo die Prüfungen stets eingeschlossen werden, sei schon geklaut worden. Wohl aber mit der Absicht, Geld zu finden. Dennoch sind die Verantwortlichen schmallippig, wenn es um Angaben zur Spedition oder zu den Sammelstellen und -zeiten geht.

Dass beim Umschlag selbst eine Mappe verschütt gehe, könne Michael Kilper in den vergangenen Jahren an einer Hand abzählen. „Hier treten in der Regel keine Probleme auf, alle arbeiten sehr sorgfältig“, sagt er und findet für den hiesigen Landkreis ebenfalls lobende Worte: „Esslingen arbeitet gewissenhaft und professionell.“ Wenn aber doch Prüfungen verloren gehen, dann haben die Schüler die Wahl: Entweder sie schreiben nach oder sie akzeptieren die Note der Erstkorrektur.

Im Normallfall schauen drei Lehrer eine Prüfung an. Liegen der Erst- und Zweitkorrektor weniger als drei Punkte in der Beurteilung auseinander, bekommt der Schüler die bessere Note. Sind es mehr, muss der Endkorrektor nicht nur die Formalien prüfen, sondern die Arbeit selbst bewerten. Insgesamt sind im Regierungsbezirk Stuttgart fast 5 000 Lehrkräfte gefordert. Sie warten nun auf die Mappen, die in dieser Woche im RP umsortiert wurden.

Etwa drei Tage gehen für die Vor- und Nachbereitung des Umschlags drauf, die Kosten des RP liegen in einem mittleren bis hohen vierstelligen Bereich. Alles in allem ist das Abitur demnach nicht nur für die Schüler ein riesiger Aufwand. Denn nach den Prüfungen beginnen bereits die Vorbereitungen auf das nächste Jahr – und dann werden auch wieder die bunten Mappen aus Esslingen nach und von Vaihingen weg wandern.