Zwischen Neckar und Alb
Ein „Pool“ soll Inklusion bezahlbar machen

Schulbegleitung Assistenz im Unterricht ist für Kinder mit Handicap der Türöffner zu einem normalen Schulalltag. Weil die Kosten explodieren, sucht der Landkreis nach alternativen Lösungen. Von Bernd Köble 

Kinder mit einer Behinderung haben das Recht auf regulären Schulunterricht. Juristisch gilt das seit 2009, seit August 2015 gibt es in Baden-Württemberg dazu auch das passende Schulgesetz. Seitdem wächst die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die mit einer sogenannten Schulbegleitung am normalen Unterricht teilnehmen, rasant. 2016 waren es im Landkreis Esslingen 188 Schulpflichtige mit einem Handicap, im vergangenen Jahr hat sich die Zahl mit 394 mehr als verdoppelt. Für die Grünen im Kreistag ein positives Zeichen. „Es zeigt, dass Inklusion an Schulen funktioniert“, sagt die Sozialsprecherin der Fraktion, Christine Roos. Gleichzeitig mehren sich die Stimmen, die fordern, das
 


"Das ist oft wie ein 
Label auf der Stirn.
Prof. Dr. Werner Baur
Der Leiter der Janusz-Korzcak-Schule zur Einzelbetreuung im Unterricht

 

Modell auf den Prüfstand zu stellen. Der Grund: Die Kosten für die Schulbegleitung haben sich im selben Zeitraum mit jährlich knapp zehn Millionen Euro verfünffacht. Gleichzeitig sank der Kostenanteil des Landes, das eigentlich für das Thema Inklusion an Schulen zuständig ist, von 23,2 auf aktuell 10,4 Prozent. Der Kreis sieht sich daher nicht zum ersten Mal in der Rolle, „für die Versprechungen der Landespolitik tief in die Tasche greifen zu müssen“, wie Landrat Heinz Eininger betont. Die Freien Wähler fühlen sich ans Thema Ganztagesschule erinnert: „Das Land stellt hohe Anforderungen“, sagt ihr Sprecher Frank Buß. „Wenn es ans Geld geht, kommt wenig.“

Weil für Inklusion an Schulen ausreichend Lehrkräfte fehlen, kommt den Schulbegleitern mehr Bedeutung zu. Bisher war eine Einzelbetreuung die Alternative zum Unterricht in kleineren Klassen an Sonderschulen. Wie also Kosten reduzieren und gleichzeitig sicherstellen, dass Kinder, die Unterstützung im Regelunterricht brauchen, diese auch erhalten? Die Antwort lautet „Pool-Lösung.“ An der Kirchheimer Janusz-Korczak-Schule, die sich um Kinder und Jugendliche mit Verhaltensbesonderheiten kümmert, hat man damit gute Erfahrungen gemacht. „Wir haben super Rückmeldungen von Eltern und von Kindern“, berichtet Schulleiter Prof. Dr. Werner Baur.  Die Schule der Stiftung Tragwerk ist neben der Gemeinschaftsschule in Frickenhausen die zweite Bildungseinrichtung im Kreis, die dieses Modell bereits im zweiten Schuljahr anwendet. Baur sieht darin nicht nur finanzielle Vorteile. Auch aus pädagogischer Sicht kann es durchaus sinnvoll sein, wenn sich mehrere Kräfte die Betreuungsarbeit teilen.  Kinder, die einen ständigen Begleiter an ihrer Seite haben, fühlen sich häufig gebrandmarkt, „das ist wie mit einem Label auf der Stirn“, sagt Baur. Im Pool lässt sich dies besser steuern. „Kinder haben gute und schlechte Tage“, meint er. „Wenn die Begleitperson nicht gebraucht wird, geht sie einfach ins Klassenzimmer nebenan.“ Wenn eine Begleitperson krank ist, springt eine andere ein. Bisher musste das Kind in einem solchen Fall häufig zuhause bleiben. Ein weiterer Vorteil: Die Pool-Lösung stellt Qualität sicher. An der Janusz-Korczak-Schule kümmern sich sieben Schulbegleiterinnen und -begleiter um 13 Kinder. Nur zwei der Unterstützungskräfte sind fachlich ausgebildet, was auch am befristeten Arbeitsverhältnis liegt. „Wenn die Pool-Lösung Alltag wird“, sagt Baur, „dann können wir den Leuten feste Verträge anbieten und sie besser qualifizieren.“ 

Dass die Entwicklung der Zahlen zwei Seiten hat, erkennt auch der Schulleiter. „Das Wachstum ist natürlich exponentiell“, sagt er. „Dass man nun schaut, wie sich der Bedarf kostengünstiger decken lässt, kann ich verstehen.“ Gleichzeitig hat er eine Erklärung für die Entwicklung: Weil der Kreis spät in das Thema eingestiegen ist, sei der Nachholbedarf groß. Für Baur wichtig: dass über den Bedarf weiterhin im Einzelfall entschieden wird. „Es gibt Beispiele, in denen nach wie vor eine Einzelbetreuung der richtige Weg ist,“ betont er.

Fachstelle wird eingegliedert

Der Landkreis will das Steuer nun selbst in die Hand nehmen. Die Fachstelle Schulbegleitung, die bisher beim Trägerverbund angesiedelt war, soll künftig zum Jugendamt gehören, wo auch eine Bedarfsprüfung und Erstberatung stattfindet. „Wir brauchen eine Lösung aus einer Hand“, unterstreicht Sozialdezernentin Katharina Kiewel und macht klar: „Pauschale Lösungen wird es auch künftig nicht geben.“ Mitte Februar soll es einen Fachtag zum Thema geben, der alle Beteiligten an einen Tisch holt. Kiewel betont: „Es darf nicht der Eindruck entstehen, hier ginge es nur ums Geld.“

 

Kreis erhöht Beitrag zur Schulsozialarbeit

Der Landkreis erhöht rückwirkend für das laufende Schuljahr bis 2023 seinen Förderbeitrag für die Schulsozialarbeit. Das hat der Sozialausschuss des Kreistags vor der Etatentscheidung am 16. Dezember einstimmig entschieden. Nachdem das Land angekündigt hat, seinen Anteil mit Geld aus dem „Corona-Aufholprogramm“ der Bundesregierung aufzustocken, will nun auch der Landkreis mitziehen. Land, Kreis und Kommunen teilen sich die Kosten für die Schulsozialarbeit zu je einem Drittel. Um die Zukunft des Finanzierungsmodells gibt es seit längerem Streit. Die Kommunen als Schulträger haben mit wachsendem Bedarf zu kämpfen, das Land sieht sich freiwillig mit im Boot. Die Folge: Die Förderpauschale pro Vollzeitstelle ist mit 16 700 Euro seit 2012 unverändert. Sie soll jetzt auf 17 800 Euro steigen. Für den Landkreis mit 113 Vollzeitstellen in der Schulsozialarbeit bedeutet das abzüglich der Mehreinnahmen in den eigenen Berufsschulen Mehrkosten von 107 800 Eur​​​​​​​o. bk