Zwischen Neckar und Alb
Ein Signal an gestresste Kommunen

Haushaltsdebatte Eine klare Mehrheit im Kreistag spricht sich für eine deutlichere Senkung der Kreisumlage aus. Die Stellungnahmen der Fraktionen gibt es wegen Corona zum ersten Mal nur im Netz. Von Bernd Köble

Rede und Gegenrede sind die Eckpfeiler demokratischer Debattenkultur. Wer an ihnen sägt, handelt undemokratisch - oder er steckt im selbstgeschneiderten Korsett, für das der Verhaltenskodex einer Pandemie zurzeit das Muster vorgibt. Etatreden schwingen in einem hundertköpfigen Plenum, wenn draußen so gut wie nichts mehr alltäglich ist, das war den meisten in Politik und Verwaltung vor der für gestern geplanten Haushaltssitzung im Kreistag dann doch zu heikel. Jetzt gibt es die Reden für jedermann abrufbar als Audio-Dateien auf der Homepage des Landratsamtes. Die Anträge der Fraktionen werden in den kommenden Wochen öffentlich in den Ausschüssen behandelt.

Damit ist die demokratische Form gewahrt. Der Kern der Debatte bleibt auch im virtuellen Raum ohnehin derselbe: Die Kreisfinanzen profitieren noch immer vom Boom der Vor-Corona-Zeit, der im Herbst 25 Millionen Euro Mehreinnahmen in die Kasse spülte. Geld, von dem auch die Kommunen profitieren sollen, und zwar deutlicher als die Verwaltung in ihrem Etatwurf vorgesehen hat. Eine klare Mehrheit aus Freien Wählern, CDU, SPD und FDP spricht sich für eine Senkung der Kreisumlage um einen ganzen Prozentpunkt aus. Ein Vorschlag, der die Kommunen gegenüber dem Vorjahr um 8,1 Millionen Euro entlasten würde. Zuletzt hatten die Städte und Gemeinden 31 Prozent ihrer Steuereinnahmen und Landeszuweisungen für gemeinsame Aufgaben an den Landkreis abtreten müssen.

Angesichts der verbesserten Finanzlage schlug die Verwaltung bei der Vorstellung ihres Planentwurfs im Oktober eine moderate Senkung auf 30,8 Prozentpunkte vor. Ein Vorschlag, den nun allein die Grünen mittragen. Ulrich Deuschle, der als Einzelabgeordneter die Republikaner im Kreistag vertritt, hatte sich gemeinsam mit der AfD für eine Erhöhung auf 32 Punkte stark gemacht. Das ist der Wert, den auch die Verwaltung noch im Sommer ins Auge gefasst hatte. Klar ist: Die Umlage wird mittelfristig steigen müssen, will man die gewaltigen Investitionen in den kommenden fünf Jahren schultern. Allein die Kosten für die beiden Verwaltungsneubauten in Esslingen und Plochingen belaufen sich auf rund 170 Millionen Euro.

Viele Kommunen befänden sich wegen Corona in einer absoluten Ausnahmesituation, begründet CDU-Chef Sieghart Friz die Entscheidung seiner Fraktion. Ob von Bund und Land ein weiterer Rettungsschirm im nächsten Jahr komme, stehe in den Sternen. Dass das Investitionsprogramm durch die vorübergehnde Senkung der Umlage in Schieflage geraten könnte, fürchtet keiner der Befürworter. Für die Freien Wähler ist eine Umlage von 30 Prozent für den Kreis „gut auskömmlich“ und zudem „im Sinne einer fairen Finanzpartnerschaft“, wie der Fraktionsvorsitzende Bernhard Richter betont. Eine endgültige Entscheidung fällt der Kreistag mit seinem Etatbeschluss am 10. Dezember.

Sorge um Nahverkehr

Was Verwaltung und Politik gleichermaßen beschäftigt, ist die Sorge um den öffentlichen Nahverkehr, wo die Fahrgastzahlen seit Beginn der Pandemie um 80 Prozent eingebrochen sind. Ein funktionierender Nahverkehr ist nicht nur im Schulalltag wichtig, sondern auch Baustein auf dem Weg zu selbstgesteckten Klimaschutz-Zielen. Die SPD drängt deshalb mit einem verbilligten School-Abo auf den Einstieg in ein 365-Euro-Jahresticket für alle, wie es die Linke im Kreistag schon seit Jahren fordert und wie es die Stadt Stuttgart bereits anbietet. SPD-Fraktionschef Michael Medla sieht darin auch einen Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit: „Dadurch würden Eltern spürbar entlastet.“

Dass der Zug nicht ohne parlamentarischen Segen abfährt, beziehungsweise Preise nicht über die Köpfe von Mandatsträgern hinweg kalkuliert werden, fordern dagegen die Grünen. Mehr Mitspracherecht bei geplanten Tarif- erhöhungen im VVS ist für Fraktionschefin Marianne Erdrich-Sommer nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine politische Frage. Vor Entscheidungen im VVS-Aufsichtsrat müsse ein bindendes Votum im zuständigen Kreistagsausschuss möglich sein.

Beim Thema Klimaschutz erwarten die Grünen im kommenden Haushaltsjahr erste konkrete Schritte. Seit Anfang November koordiniert eine Klimaschutzmanagerin im Landratsamt die Aufgaben, die das kreiseigene Klimaschutzkonzept vorgibt. Damit es nicht bei Plänen bleibt, will die Fraktion schon im nächsten Jahr 200 000 Euro an Projektmitteln im Haushalt verankern. Man dürfe kein weiteres Jahr verstreichen lassen, warnt Erdrich-Sommer. „Gegen die Klimakrise gibt es auch in Zukunft keinen Impfstoff.“