Zwischen Neckar und Alb
Eine Intensivpflegerin spricht über katastrophale Zustände

Corona Katja Soldo fühlt sich in der Klinik am Eichert in Göppingen genau am richtigen Platz. Die aktuelle Arbeitssituation sei aber „eine Zumutung“, kritisiert sie die Politik. Von Susann Schönfelder

Katja Soldo hat in knapp zwei Jahren Pandemie viel gesehen und erlebt. „Da lag ein Ehepaar, der eine hat es geschafft, der andere ist gestorben“, erzählt die Intensivpflegerin. „Es ist aber auch furchtbar, wenn Patienten kommen und wie verrückt atmen, aber gar kein Gefühl mehr dafür haben, dass sie extremen Sauerstoffmangel haben“, fügt die erfahrene Pflegekraft hinzu. Es sind diese menschlichen Schicksale, die hängen bleiben werden, wenn die Zahl der Corona-Patienten irgendwann sinkt und die Intensivpflegekräfte etwas durchatmen können. Einbrennen werden sich aber auch die glücklichen Momente, „wenn man einen Patienten Schritt für Schritt vorwärtsgebracht hat und es ihm irgendwann besser geht“, sagt die 49-Jährige.

Katja Soldo ist seit 1998 Intensivpflegerin. Bundesweit haben viele ihrer Kolleginnen und Kollegen während der Pandemie das Handtuch geworfen – aus Erschöpfung, Frust und Ausweglosigkeit. Die Süßenerin, die in der Klinik am Eichert in Göppingen arbeitet, war noch nie so weit: „Ich liebe meinen Job. Es ist genau der richtige Beruf für mich, ich fühle mich genau am richtigen Platz.“ Der Umgang mit Menschen und Technik, die Kreativität, die jeden Tag gefragt sei, und die schnelle Reaktionsfähigkeit – dieser Mix mache ihren Berufsalltag aus. „Mich interessiert die Medizin, aber ich mag auch die körperliche Arbeit“, sagt Katja Soldo. „Das macht einfach Spaß.“ Schwierigkeiten, sich jeden Tag aufs Neue in dieser herausfordernden Zeit zu motivieren, habe sie daher nicht. Zumal das Team durch die Ausnahmesituation noch mehr zusammengewachsen sei.

Der 49-Jährigen ist es wichtig zu trennen: „Der Beruf per se ist schön, die Zustände sind aber aktuell katastrophal. Die Belastungsgrenze ist deutlich überschritten, die Intensivstationen maximal überlastet“, macht sie klar, was ihr Berufsstand nicht erst seit Corona leistet. Die 75-Prozent-Kraft arbeitet mehr, als es in ihrem Vertrag steht, springt oft ein, verzichtet im dritten Jahr in Folge auf Urlaub.

Die Aussichten für Weihnachten stehen schlecht, malte der frühere Gesundheitsminister Jens Spahn vor wenigen Tagen ein düsteres Bild für die bevorstehenden Feiertage. Die Lage auf den Intensivstationen werde „rund um Weihnachten ihren traurigen Höhepunkt erreichen“, blickte Spahn in die Zukunft. Katja Soldo macht deutlich, dass man dafür nicht auf Weihnachten warten braucht: „Die Katastrophe ist schon da.“ Die extrem hohen Fallzahlen der vergangenen Wochen schlügen sich zeitverzögert auf den Intensivstationen nieder.

Ängste könne sie nachvollziehen, für volle Stadien und Querdenker hat die 49-Jährige jedoch null Verständnis: „In einer Pandemie muss man das große Ganze im Blick haben und auf die Wissenschaft hören.“ Impfgegnern gibt sie mit auf den Weg: „Wir haben das Privileg, uns impfen zu lassen. Die Impfung ist nun mal das einzige wirksame Mittel im Kampf gegen das Virus. Eine wirkungsvolle Therapie haben wir nicht.“

 

„Wir sollten nicht über Menschen urteilen, denn wir kennen ihre Geschichte nicht.
Katja Soldo
Intensivpflegerin

Hat sie selbst denn nie Angst, sich zu infizieren? Oder dem Stress eines Tages nicht mehr gewachsen zu sein? Ihre Antwort kommt prompt: „Ich persönlich habe wenig Ängste und kann gut mit Stresssituationen umgehen. Ich bin fast 50 und habe sicher eine andere Art von Widerstandsfähigkeit als jüngere Menschen, bei denen diese Ausnahmesituation Spuren hinterlässt.“ Und wenn es um diese existenziellen Fragen, um Leben und Tod, geht? „Wenn jemand verstirbt, habe ich einen guten Weg für mich gefunden, um damit klarzukommen.“ Katja Soldo treibt gerne Sport und ist an der frischen Luft, um sich zu regenerieren und Kraft für den nächsten Tag zu tanken. Auch ihre Familie gibt ihr Halt. Wobei natürlich jede Pflegekraft auch ihre private Pandemie-Geschichte hat. Ältere Verwandte, die isoliert waren, die Frage, ob das Schulkind seine Freunde treffen darf. „Da sind jeden Tag Entscheidungen zu treffen“, macht die Mutter deutlich. „Jeder hat da noch sein Päckchen zu tragen.“

Sie hat sich die Wut abgewöhnt

Kommt denn nie Frust oder Wut auf, wenn man Menschen auf der Intensivstation behandelt, die hier mit einer Impfung gar nicht liegen müssten? „Ich bin da nicht wirklich wütend, das ist typisch Mensch. Menschen reagieren auf Unbekanntes mit Unsicherheit“, sieht die Intensivpflegerin die Situation pragmatisch. In ihrem Beruf müsse man sich abgewöhnen, mit Wut zu reagieren, sagt Soldo. „Wir sollten nicht über Menschen urteilen, denn wir kennen ihre Geschichte nicht“, lautet ihr Credo – egal ob die Patienten ungeimpft, Kettenraucher oder Liebhaber von Tattoos sind, die deren rechte Gesinnung zum Ausdruck bringen. Die Professionalität sei ihr wichtig, „eben keine Unterschiede zu machen“, betont Soldo. „Auch wenn oft keine Pause möglich ist, man jeden Tag 100 Prozent geben muss und sehr viel Verantwortung hat.“

Sie gehe jeden Tag gerne und motiviert zur Arbeit. Einen Wunsch hat sie dennoch – und der geht weit über diese vierte Welle hinaus: „Mehr Personal.“

 

Kritik an der Vergütung im Gesundheitswesen

Die Fallpauschale ist eine Form der Vergütung von Leistungen im Gesundheitssystem. Im Gegensatz zu zeitraumbezogenen Vergütungsformen oder einer Vergütung einzelner Leistungen werden bei Fallpauschalen medizinische Leistungen pro Behandlungsfall bezahlt.
Katja Soldo geht mit der Politik hart ins Gericht: „Die Abrechnung einer Krankheit mit einer Fallpauschale wird dem Ganzen nicht mehr gerecht“, kritisiert sie. Der aktuell beklagte Personalnotstand sei nicht vom Himmel gefallen: „Das muss man über mehrere Jahre betrachten.“ Nichtsdestotrotz seien ihrer Meinung nach auch während der Pandemie schlechte Entscheidungen getroffen worden – und diese auch viel zu spät. „Ich bin wirklich entsetzt, wie langsam die Politik reagiert hat.
Die Impfpflicht hätte man in den Augen von Katja Soldo beispielsweise früher einführen müssen. Aber auch Kontaktbeschränkungen, Maskenpflicht, Quarantäne-Regelungen oder das Herunterfahren von Großveranstaltungen seien zu spät gekommen – das Ergebnis sei auf den Intensivstationen sichtbar. „Die Arbeitssituation ist wirklich eine Zumutung. Und dann sagt man: Wir sind systemrelevant.“ sus