Zwischen Neckar und Alb

Eine königliche Herde

Geschichte Das Privatgestüt in Esslingen-Weil und Scharnhausen gehörte im 19. Jahrhundert zu den bedeutendsten Araberzuchten in Europa. Von Dagmar Weinberg

Die "silberne Herde" steht beim 200-jährigen Bestehen der Weil-Marbacher Vollblutaraberzucht im Mittelpunkt. Foto: privat
Die "silberne Herde" steht beim 200-jährigen Bestehen der Weil-Marbacher Vollblutaraberzucht im Mittelpunkt. Foto: privat

Ihre Ausdauer, Genügsamkeit und Schönheit sowie ihr menschenfreundliches Wesen machen die Vollblutaraber zu begehrten Reitpferden. Seit 200 Jahren werden Araberpferde in Württemberg gezüchtet. Wenn das Jubiläum an diesem Wochenende im Marbacher Haupt- und Landgestüt gefeiert wird, geht der Blick auch ins Neckartal. Schließlich liegt in Esslingen-Weil und Scharnhausen der Ursprung der württembergischen Vollblutaraberzucht.

Als „König der Landwirte“ sollte Wilhelm I. von Württemberg in die Geschichte eingehen. Schon als Kronprinz hatte er sich für alles Landwirtschaftliche interessiert. 1810 begann er auf seinem Sommersitz in Scharnhausen mit dem Aufbau einer eigenen Pferdezucht. Schon dort spielten die edlen Rösser aus der Wüste eine Rolle. „Der erste Deckhengst war der Araberhengst Emir.“ Das hat der Ostfilderner Stadtarchivar Jochen Bender im Rahmen seiner Recherchen herausgefunden.

Als König Wilhelm I. am 30. Oktober 1816 sein Amt antrat, war die Lage im Land miserabel. Mehrere Missernten und der durch den Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora ausgelöste „Sommer ohne Sonne“ kulminierten 1816/17 im sogenannten Hungerwinter. Die Not seiner Untertanen sollte das künftige Handeln des Königs bestimmen.

Durch den Tausch von Gütern mit dem Staat Württemberg kam Wilhelm I. in den Besitz der Staatsdomäne Weil. Er erwarb weitere Grundstücke auf Esslinger und Nellinger Gemarkung, „bis endlich vom Neckartal bei Weil bis zum Körschtal in Scharnhausen ein zusammenhängender Besitz entstanden war.“ Dort gründete der Regent im Jahr 1817 sein Königliches Privatgestüt.

Hofbaumeister Giovanni Salucci ließ das Gelände und die Gebäude der einstigen Staatsdomäne für die Pferdezucht umgestalten. So wurde etwa die alte Weiler Klosterkirche zum Hengststall umgebaut. „Die Standorte des Privatgestüts waren aber immer auch landwirtschaftliche Betriebe“, betont der Stadtarchivar. Im Scharnhauser Park hörte man unter anderem die Laute asiatischer Rinder, in Weil wurden neben Pferden Rinder, Schweine, Schafe und Kaschmir-Ziegen gezüchtet.

Das Wichtigste aber war die Pferdezucht - und da setzte Wilhelm I. auf die Wüstenpferde. Als Einkäufer sandte er Vertraute in den Orient, etwa den ungarischen Baron von Fechtig. Der hatte schon 1816 die Stute Murana I nach Scharnhausen gebracht. Sie ist bis heute die Stamm-Mutter der Vollblutaraberzucht in Marbach. Im Jahr darauf wurde es dann richtig teuer für den König. Der ungarische Baron hatte die Araberhengste Tajar und Bairactar gekauft. „Die Gestütsverwaltung zahlte für die beiden nicht weniger als 1000 Dukaten“, so Bender.

Das Geld war gut angelegt. Dank Bairactar - er war zunächst das Leibreitpferd des Königs - entwickelte sich das Königliche Privatgestüt in Weil im 19. Jahrhundert zur bedeutendsten Araberzucht in Europa. Von Weil aus wurden die Vollblutaraber in alle Welt exportiert. Der Araberhengst ist der Stamm-Vater der Marbacher „silbernen Herde“. Sie gilt als die weltweit älteste Zuchtlinie, die sich auf Original-Araber zurückführen lässt.

Während Wilhelms Nachfolger König Karl I. kein gesteigertes Interesse an den edlen Vierbeinern zeigte, bestieg im Jahr 1891 mit König Wilhelm II. ein ausgewiesener Pferdekenner den württembergischen Thron. Er kümmerte sich wieder intensiv um die Zucht der Vollblutpferde. Zudem entwickelte sich Weil zum „Schwäbischen Ascot“. 1892 hatte der Württembergische Rennverein dort eine Rennbahn angelegt, mit abwechslungsreichem Programm für die höheren Schichten.

Nachdem König Wilhelm II. in der Folge des Ersten Weltkriegs hatte abdanken müssen, blieb das Königliche Privatgestüt im Besitz des Hauses Württemberg. Nach dem Tod Wilhelms pachtete seine Tochter Pauline zu Wied das Gelände in Weil und Scharnhausen. Da auch sie Pferde liebte, gab sie der Araberzucht neue Impulse. So kam 1930 mit Jasir „der wohl edelste Hengst außerhalb Arabiens“ ins Neckartal. Doch auch er konnte den Niedergang des Gestüts nicht aufhalten. „In der wirtschaftlich schwierigen Zeit der Weimarer Republik kam das Gestüt nicht aus den roten Zahlen“, weiß der Leiter des Ostfilderner Stadtarchivs. Zudem wurde der politische Druck seitens der Arbeiterbewegung gegen den Grundbesitz immer größer. Für die Arbeiter, die von den Fildern in die Esslinger Fabriken kamen, war das Gestüt ein unpassierbarer Riegel. Angesichts der Umwege, die sie deshalb in Kauf nehmen mussten, „hätten sie das Gelände lieber heute als morgen enteignet.“

1932 gab Pauline Fürstin zu Wied das Gestüt auf und übergab den größten Teil der königlichen Herde an das Haupt- und Landgestüt Marbach.

Info Am 25. Mai läuft ab 18.30 Uhr der Film „Ein königliches Jubiläum - 200 Jahre Araberzucht in Marbach“ im SWR.

1982 hatte der Württembergische Rennverein in Weil eine Rennbahn angelegt. Das Dorf entwickelte sich bald zum "Schwäbischen Asco
1982 hatte der Württembergische Rennverein in Weil eine Rennbahn angelegt. Das Dorf entwickelte sich bald zum "Schwäbischen Ascot". Foto: Stadtarchiv Esslingen