Zwischen Neckar und Alb

„Eine positivere Sicht auf den Menschen“

AOK erkennt im neuen Pflegestärkungsgesetz mehr Gerechtigkeit

Ab kommendem Jahr gibt es ein neues Pflegestärkungsgesetz. Keiner der Bedürftigen beziehungsweise der Angehörigen muss von sich aus tätig werden.

Ab 1. Januar gibt es zusätzliche Pflegeleistungen.Archiv-Foto: Jean-Luc Jacques
Ab 1. Januar gibt es zusätzliche Pflegeleistungen.Archiv-Foto: Jean-Luc Jacques

Kreis Esslingen. Lautete bisher die Frage bei der Ermittlung von Pflegebedürftigkeit „Was kann die Person nicht mehr?“, heißt es vom 1. Januar 2017 an „Was kann die Person noch?“. Hintergrund ist das vom Bundestag beschlossene neue Pflegestärkungsgesetz (PSG II), das deutlich mehr auf die individuellen Fähigkeiten der Versicherten eingehen wird, als dies der heutigen Praxis entspricht. Johannes Bauernfeind, Geschäftsführer der AOK Neckar-Fils, spricht von einem „Paradigmenwechsel in der Pflegeversicherung“.

Pflege nach Stoppuhr sowie eine mitunter mangelhaft ausgeprägte Orientierung am tatsächlichen Pflegebedarf: Mit solchen Problemen will der Gesetzgeber aufräumen und hat deshalb mit dem Pflegestärkungsgesetz II eine der umfassendsten Reformen seit Einführung der Pflegeversicherung vor mehr als 20 Jahren beschlossen. Johannes Bauernfeind, der als AOK-Chef rund 318 000 Versicherte in den Landkreisen Esslingen und Göppingen vertritt, verspricht sich durch den Wechsel von PSG I zu PSG II „eine positivere Sicht auf den Menschen“. Die Alltagskompetenz und die kognitiven Fähigkeiten von Pflegebedürftigen sollen künftig stärker berücksichtigt werden, wenn es darum geht, die Pflegebedürftigkeit der Versicherten einzustufen.

Praktisches Beispiel: Hinterfragt wird nicht nur, ob der Pflegebedürftige rein motorisch in der Lage ist, sich selbstständig die Zähne zu putzen. Entscheidend ist auch, ob er es vom Kopf her als eine Aufgabe begreift, die zur regelmäßigen Körperpflege gehört.

Mit der neuen Philosophie verändert sich vom Jahreswechsel an auch die Einteilung nach Pflegebedürftigkeit. Bisher gab es Pflegestufen, künftig wird es fünf Pflegegrade geben, wie Janice Näther, die Leiterin des Versorgungsmanagements bei der AOK, erklärt. Über diese Pflegegrade ist die Höhe der Leistungen an den Pflegebedürftigen festgelegt. Befürchtungen, das neue Gesetz könnte zu Leistungseinbußen führen, tritt Bauernfeind entgegen: Kein Pflegebedürftiger müsse Abstriche hinnehmen, es gelte ein Bestandsschutz. In der Regel seien die Leistungen sogar höher als bisher.

In diesen Tagen werden die Versicherten von der Krankenkasse angeschrieben und über das neue Pflegestärkungsgesetz informiert. Dabei lautet neben den inhaltlichen Fakten die wichtigste Botschaft: Kein Pflegebedürftiger und auch kein Angehöriger muss von sich aus tätig werden, um etwas im Sinne des neuen Gesetzes regeln. Die Einstufung in Pflegegrade geschieht automatisch, was im Falle der AOK Neckar-Fils 13 500 Pflegebedürftige betrifft. Sie werden im Rahmen einer Übergangsregelung und auf der Basis vorhandener Daten eingestuft. Neue Fälle werden durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen begutachtet und dem jeweiligen Pflegegrad zugeordnet. Dabei werden Kriterien wie Mobilität, kognitive und kommunikative Fähigkeiten und Verhaltensweisen sowie psychische Problemlagen, Selbstversorgung, der Umgang mit krankheitsbedingten Anforderungen, die Gestaltung des Alltagslebens und soziale Kontakte als Kriterien angelegt. Beim Medizinischen Dienst handelt es sich um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die zwar im Auftrag der Krankenkassen arbeitet und auch von ihnen finanziert wird, die sich aber als unabhängige Institution versteht.

Was sich mit dem Pflegestärkungsgesetz II nicht verändern wird: Die Pflegeversicherung ist nach wie vor wie eine Teilkaskoversicherung angelegt. Der Pflegebedürftige bezahlt also einen Eigenanteil. Dieser wird nach den Worten von Johannes Bauernfeind in Zukunft für die unteren Stufen etwas höher ausfallen.

Die Gesetzesänderung stellt die Krankenkassen vor große logistische Herausforderungen, wie Janice Näther berichtet. Bereits seit April gibt es in Kirchheim ein Kompetenzzentrum der AOK für diesen Themenkomplex. Das heißt aber nicht, dass die Versicherten mit ihren Fragen nach Kirchheim müssen. Geschulte Mitarbeiter stehen in allen AOK-Kundencentern für Auskünfte zur Verfügung.