Zwischen Neckar und Alb

Enger Schulterschluss für neue Wohnungen

Esslinger Gemeinderat verabschiedet ehrgeiziges Bauprogramm und stimmt dem Verkauf eines Sportgeländes zu

Der Esslinger Gemeinderat hat – im wahrsten Sinne der Not gehorchend – nahezu einstimmig ein Konzept beschlossen: Dieses bringt weitere Plätze für die Erstunterbringung von Flüchtlingen sowie den Bau neuer Wohnungen vor allem für die Anschlussunterbringung von Flüchtlingen und für Bürger mit geringerem Einkommen. Dafür soll ein Sportgelände verkauft werden.

Auf dieser Fläche zwischen Neckar Center und B 10 können 129 Geschosswohnungen und 47 Reihenhäuser für 530 Menschen entstehen. F
Auf dieser Fläche zwischen Neckar Center und B 10 können 129 Geschosswohnungen und 47 Reihenhäuser für 530 Menschen entstehen. Foto: Bulgrin

Esslingen. Die Esslinger Stadträte haben während ihrer letzten Sitzung in diesem Jahr angesichts des Zustroms von Flüchtlingen und dem Mangel an bezahlbaren Wohnungen einen engen Schulterschluss vollzogen. Auch wenn sich erst in der Detailarbeit zeigen wird, wie schnell und in welchem Umfang die dringend benötigten Wohnungen tatsächlich gebaut werden können, war das Signal auch für die in der Sitzung anwesenden Kritiker des Bauprogramms eindeutig. Es geht dabei nicht um neue Baugebiete, wie sie etwa bei der Fortschreibung des Flächennutzungsplans diskutiert werden, sondern um planungsrechtlich abgesicherte Flächen im Bestandsgebiet.

Dazu gehört auch das Sportgelände zwischen Neckar Center und B 10, das zuletzt vorwiegend von ausländischen Vereinen genutzt worden ist. Bisher war dieses Areal eher für Gewerbeansiedlungen im Gespräch, entsprechende Anfragen gab es immer wieder. In nicht öffentlicher Sitzung hat der Gemeinderat nun den Verkauf an einen Investor beschlossen und damit den Weg frei gemacht für mögliche 129 Geschosswohnungen und 47 Reihenhäuser.

Das nunmehr beschlossene Wohnungsbauprogramm berücksichtigt das geltende Esslinger Wohnraumversorgungskonzept, wonach bei neuen Projekten die Belange von sozial schwächer gestellten Bürgern, von Familien und von Immobilienkäufern berücksichtigt werden müssen. Oberbürgermeister Jürgen Zieger und die Fraktionen machten gestern noch einmal deutlich, dass es bei dem Maßnahmenkatalog (siehe Anhang) um zusätzliche Wohnungen für alle betroffenen Bevölkerungsgruppen geht.

In der Diskussion sprach Zieger vom kollektiven Versagen Europas in der Flüchtlingsfrage und von der Tatenlosigkeit der Weltgemeinschaft in Nordafrika und Ostasien. „Uns in den Städten fällt diese Tatenlosigkeit auf die Füße“, betonte der OB. Niemand habe sich die momentane Situation herbeigewünscht. Doch Esslingen und alle anderen Städte müssten darauf reagieren. Und dies gelinge nur durch das Zusammenspiel aller gesellschaftlichen Kräfte.

Wie das Wohnungsbaukonzept umgesetzt wird, darüber kann aus Sicht des SPD-Fraktionsvorsitzenden Andreas Koch geredet werden. Dass es letztlich schnell zu realisieren ist, steht für ihn und die SPD dagegen außer Frage. „Die üblichen Reflexe helfen nicht weiter, und seien sie noch so gut gemeint oder menschlich verständlich“, betonte Koch. Zeit habe man nicht, besser geeignete Flächen ebenfalls nicht, und ohne ein Gesamtkonzept gehe es nicht. Koch: „Not ist Gegenwart, nicht Zukunft.“ Gleichzeitig verwies der Fraktionschef auf die Chance, aus der Not eine Tugend zu machen: „Nicht nur Flüchtlinge erhalten ein Dach über dem Kopf, sondern es wird auch bezahlbarer Wohnraum für die einheimische Bevölkerung geschaffen.“ Obwohl das Konzept seiner Fraktion Bauchschmerzen mache – die CDU stimme zu, sagte Jörn Lingnau. „Egal, welche Grundstücke genannt werden, fast immer gibt es Widerstand aus der Bevölkerung.“ Natürlich sei es um jedes Grundstück schade, um jeden Sportplatz, so der CDU-Fraktionschef. Aber irgendwo müsse gebaut werden, und eine Prüfung der Verwaltungsvorschläge habe ergeben, dass die vorgesehenen Projekte unumgänglich seien. Aber ebenso wie Andreas Koch sagte Jörn Lingnau zu, die Pläne genau zu prüfen.

Den Freien Wählern ist es nach den Worten ihrer Vorsitzenden Annette Silberhorn-Hemminger unter anderem wichtig, dass städtebauliche und qualitative Aspekte nicht vernachlässigt werden. Die Vorschläge der Verwaltung seien in ihrer Fraktion „sehr kontrovers“ diskutiert worden, erklärte sie. Annette Silberhorn-Hemminger appellierte an alle gesellschaftlichen Kräfte: „Lassen Sie uns als Stadtgesellschaft diese Herausforderung zusammen anpacken. Wir brauchen ein Miteinander, auch wenn die Herausforderung das Potenzial zum Gegeneinander hat.“

Trotz starker Vorbehalte mit Blick auf Baudichte und ökologische Aspekte stimmten auch die Grünen dem Wohnungsbauprogramm im Grundsatz zu. In der Pliensauvorstadt auf dem Gelände des VfL Post wollen sie etwa eine geringere Bebauung, und eine Teilfläche müsse weiterhin dem Sport zur Verfügung stehen. Ansonsten unterstrich die Fraktionsvorsitzende Carmen Tittel, „dass wir keinen Wohnungsbau für Flüchtlinge machen werden, sondern für alle bedürftigen Gruppen in unserer Stadt“. In der Statistik der Verwaltung würden rund 650 Personen genannt, die dringend eine angemessene Wohnung benötigten.