Das Problem mit der Lehrerarbeitszeit, das ihn bereits 20 Jahre beschäftigt, wird er nicht mehr lösen. Ob es seine Nachfolger schaffen, wird sich auch erst noch zeigen. 25 Jahre lang war Hans Dörr das Gesicht der derzeit 2 300 Mitglieder starken Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft im Kreis Esslingen. Ein von der Tonlage her angenehm leiser, aber doch beharrlicher Kämpfer für seine Kollegen. Aber auch für die aus seiner Sicht richtige Pädagogik. Was nicht immer ohne Interessenskonflikte abging. Wenn sich der 63-Jährige am 28. Juni aus seinem Amt als Kreischef der GEW Esslingen-Nürtingen verabschiedet, kann er zu Recht sagen: „Wir haben es die ganzen Jahre über geschafft, als GEW vor Ort und sichtbar zu sein.“
Besser sein als die eigenen Lehrer
Schon in Schülerzeiten hat sich Hans Dörr für Pädagogik interessiert. Wie viele verschlang auch er in den 1970er-Jahren die Bibel der antiautoritären Erziehung, Alexander S. Neills „Das Beispiel Summerhill“. Als er dann zwischen 1975 und 1978 in Esslingen Geschichte und Deutsch für Grund- und Hauptschulen studierte, war klar, dass er in die Gewerkschaft eintritt. Dörr war bei den Jusos, mitunter durfte es auch noch etwas weiter links sein. Und es war klar, dass er alles besser machen wollte als seine eigenen Lehrer. Das prädestinierte ihn denn auch für den „Praxisschock“, als seine hohen Erwartungen aus dem Studium auf die triste Realität im Klassenzimmer gestoßen sind. Seine Neuntklässler in Stuttgart-Luginsland hatten ihm unverblümt klargemacht, dass es auch für ambitionierte Pädagogen keine Schonung gab. Er musste Kante zeigen, um akzeptiert zu werden. „Ich war frustriert, mich als sehr autoritär erlebt zu haben“, sagt er heute.
Damals hat er zwar ein paar Illusionen, aber nicht seine Ideale verloren. Er sah sich als Gewerkschafter von Anfang an nicht nur den Interessen der Kollegen verpflichtet. Sondern auch dem, was gute Schule und gute Pädagogik aus seiner Sicht ausmachen sollte. Und wie man die Lehrkräfte zugleich vor ausufernden Ansprüchen schützt oder sie mit zusätzlichen Ressourcen unterstützt.
Laufbahn mit mehreren Stationen
Dörr war Junglehrervertreter, einige Jahre Esslinger Ortsverbandsvorsitzender und ist seit 1992 Chef des Kreisverbands Esslingen-Nürtingen. Zudem engagierte er sich von 1984 bis 2005 als Redaktionsmitglied für die Mitgliederzeitung Bildung und Wissenschaft. Seine Lehrerlaufbahn hatte ihn über mehrere Stationen an die Plochinger Burgschule geführt, die er zuletzt auch leitete. Als Vollzeit-Personalratsvorsitzender für die 3 600 Lehrkräfte in den Grund-, Haupt-, Werkreal-, Real-, Gemeinschafts- und Sonderschulen im Kreis und ehemaliger Bezirkspersonalrat beim Regierungspräsidium Stuttgart gilt er als Kenner der Sorgen und Nöte der Lehrerschaft.
Wenn er jetzt in einer Zeit der äußerst knappen Unterrichtsversorgung geht, ist das für ihn nur eine von vielen Wellen. Die Lehrereinstellung war in den vergangenen 25 Jahren regelmäßig Thema. Aber auch die Pädagogik in ihren unterschiedlichsten Facetten. Er hat miterlebt, wie Schule immer mehr zum Lebensraum für die Kinder geworden ist, dass sie „mehr als Unterricht“ bieten muss.
Dörr steht dazu, dass die Haupt- und Werkrealschulen trotz der guten Arbeit ihrer Lehrer nicht mehr zu halten waren. „Ich hätte nie gedacht, dass ich in Baden-Württemberg einmal die Gemeinschaftsschule erlebe.“ Mehr Heterogenität im Klassenzimmer fänden allerdings längst nicht alle Lehrer toll, spielt er vor allem auf die Realschulen und Gymnasien an. „Es sind aber auch nicht alle Werkrealschullehrer mit fliegenden Fahnen zur Gemeinschaftsschule gewechselt.“ Dabei ist der Umgang mit Vielfalt keine Altersfrage. Dörr sagt dazu: „Ich erlebe viele jüngere Kollegen, die gerade erst aus dem Studium kommen und sich damit überfordert sehen.“
Wenn er sich jetzt sowohl als Personalratsvorsitzender als auch als GEW-Kreischef zurückzieht, wird ihm nicht langweilig. Der Notzinger will in der Kirchheimer Regionalgruppe von Attac mitmischen oder bei den Globalisierungskritischen Gesprächen auf den Fildern. Zudem ist er bei der Betreuung der Enkelkinder fest eingeplant.