Zwischen Neckar und Alb

Erlebnisse gegen das Vergessen

Begegnung Nach zehn Jahren ist der Schüleraustausch zwischen der Esslinger Kennedy-Schule und dem Wirtschafts-Lyzeum Piotrków in Polen lebendiger denn je. Von Elisabeth Maier

Im Plochinger Kletterwald lernen deutsche und polnische Schüler und Lehrer, einander in Extremsituationen zu vertrauen.Foto: Rob
Im Plochinger Kletterwald lernen deutsche und polnische Schüler und Lehrer, einander in Extremsituationen zu vertrauen.Foto: Roberto Bulgrin

Viele kleine und größere Schritte gegen das Vergessen gehen deutsche und polnische Schüler aus Esslingen und der Partnerstadt Piotrków Trybunalski. Seit zehn Jahren pflegen die Kennedy-Schule und das Wirtschafts-Lyzeum Piotrków einen regen Austausch. Dieses Jahr waren zwölf polnische Schüler an der Esslinger Partnerschule zu Gast. „Wir legen nicht nur Wert auf persönliche Kontakte und auf gemeinsames Erleben“, sagt Heidi Mößner. „Ziel ist es, mit den Schülerinnen und Schülern die gemeinsame Geschichte aufzuarbeiten.“ Aufgebaut hat ihre Vorgängerin Beate Thalmann den Austausch zwischen den beiden Nachbarländern. Besonders eindrücklich war für die Jugendlichen der Besuch in der Zentralen Stelle zur Aufarbeitung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg.

„Wir haben über konkrete Fälle gesprochen“, erzählt Isabel. Die 17-Jährige beeindruckt die gründliche Arbeit der Juristen an der Forschungsstelle sehr. Aus ihrer Sicht ist es wichtig, die Verbrechen aufzuarbeiten, solange Opfer und Täter noch am Leben sind. Die konkreten Fälle haben die Geschichte für Jeannette (19) noch greifbarer gemacht, als es historische Fakten könnten. Besonders interessant fand die Wirtschafts-Gymnasiastin die Frage, ob und wie die Wärter in den Konzentrationslagern zu bestrafen sind. Die Mehrheit der Schüler ist zu dem Schluss gekommen, dass ihre Schuld nicht von der Hand zu weisen ist, darüber hat die Gruppe allerdings heftig diskutiert. Oberstudienrätin Mößner freut sich über das große Interesse der Elft- bis Dreizehntklässler an der gemeinsamen Historie. „Wenn wir die Geschichte nicht vergessen, sorgen wir dafür, dass sich dieses dunkle Kapitel nicht wiederholt.“

Das sieht auch ihr polnischer Kollege Piotr Bereska so. Ihm ist es wichtig, mit den Gymnasiasten das Konzentrationslager in Auschwitz-Birkenau zu besuchen. „Sich der Geschichte stellen“ ist dem Geschichtslehrer ein großes Anliegen. „Die Besichtigung des Museums konfrontiert die Schülerinnen und Schüler mit der Wirklichkeit, die nicht leicht zu verkraften ist“, sagt Bereska. „Aber das ist für uns alle wichtig, damit wirkliche Versöhnung möglich wird.“ Ebenso lenkt Bereska den Blick auf die aktuelle Politik. „Wir müssen Vorurteile abbauen, damit die EU Wirklichkeit wird.“ Die Politik des Nachbarlands Deutschland sei bei ihnen im Unterricht Thema. Deshalb ist der Pädagoge sehr glücklich über den Austausch, der seinen Schülern neue Horizonte eröffne. Die europäische Politik war unterdessen Thema beim Besuch im Europäischen Parlament. Neben einer Führung durfte die Gruppe dort auch in eine Sitzung hineinschnuppern.

„Wenn wir uns treffen, haben wir andere Themen“, sagt Simon und lacht. Er und seine Familie genießen den Austausch mit dem Gast aus Polen sehr. Da werde über Bands geplaudert, über das Shoppen oder über persönliche Dinge. „Unsere Schüler sprechen Deutsch, aber das läuft bei manchen nicht so flüssig“, sagt der Deutschlehrer Igor Nowików. Deshalb ist beim gemeinsamen Ausflug in den Plochinger Kletterwald vorwiegend Englisch zu hören. An Karabinern und Seilen bestens gesichert, klettern die Jugendlichen mit ihren Lehrern gemeinsam in den Bäumen - und der polnische Deutsch-Lehrer ist überzeugt: „Es ist schön, ganz ohne Worte zu erfahren, dass man einander vertrauen kann.“

Der polnischen Wirtschaftsgymnasiastin Karolina aus Piotrków Trybunalski ist es wichtig, dass der Kontakt auch über die gegenseitigen Besuche hi­naus bestehen bleibt. „Wir kommunizieren über Facebook und andere Kanäle, das geht ja inzwischen ganz leicht“ - und 2019 steht dann wieder ein Gegenbesuch der deutschen Schüler auf dem Plan.