Zwischen Neckar und Alb
Esslingens Stadträte zeigen die dunkelgelbe Karte

Eklat In einem offenen Brief wird Oberbürgermeister Zieger zu einem respektvollen Umgang aufgefordert.

Esslingen. Fünf Fraktionen verlangen in einem teilweise scharf formulierten offenen Brief von Zieger künftig einen „respektvollen Umgang“ und eine „neutrale“ Sitzungsführung, die Raum für politische Diskussionen lässt. Abwertende Kommentierungen und voreilige politische Bewertungen der einzelnen politischen Positionen möge er unterlassen.

Die offen vorgetragene Beschwerde ist ein Vorgang, den es so noch nie in Esslingen gegeben hat. Unterzeichnet wurde der Brief von den Fraktionsvorsitzenden der Freien Wähler sowie von CDU, FDP, Grünen und SPD. Nicht unterzeichnet haben die Linken. Die Ratsgruppe „FÜR Esslingen“ gehört ebenfalls nicht zu den Unterzeichnern.

Hintergrund des außergewöhnlichen Vorgangs: Zieger hatte in einer Ausschusssitzung den CDU-Stadtrat Tim Hauser heftig attackiert. Im Zusammenhang mit dem Spott, der zurzeit über die Rathausverwaltung wegen der Bauversäumnisse an der Pliensaubrücke ergeht, sagte Zieger: „Ich habe gelesen, wie despektierlich Sie sich über Ihre Verwaltung äußern.“ Dann wurde es persönlich. Er frage sich, „ob ausgerechnet Sie, der politische Bruchpilot des Jahres, die geeignete Persönlichkeit sind, mir die Welt zu erklären. Dafür sind Sie ein bisschen zu nass hinter den Ohren.“ Verschiedene Gemeindevertreter von den Freien Wählern, der CDU und der FDP kritisierten diese Äußerungen noch am selben Abend, später auch die Grünen und die SPD. Seitens der CDU gab es zudem Rücktrittsforderungen. CDU-Stadtrat Enrico Bertazzoni erklärte: „Herr Dr. Zieger, treten Sie von Ihrem Amt zurück.“ Die Junge Union forderte den SPD-Politiker Zieger auf, „sich in den vorzeitigen Ruhestand zu verabschieden“.

Problem ist kein Einzelfall

Für Hauser selbst war der Ausfall Ziegers keine Lappalie, sondern hatte System. Vor etwa einem Jahr gab es eine Klausurtagung in Bad Boll, auf der das Verhältnis zwischen Verwaltungsspitze und Gemeinderat zur Sprache kam. Alle Fraktionen waren der Meinung, dass es eine Aussprache geben müsse. Die Teilnehmer vereinbarten ein faires Miteinander, aber Stadtrat Hermann Falch meint dazu lapidar: „Das hat offenbar nichts gebracht.“

Nun also der offene Brief der fünf Fraktionschefs, die 35 von 40 Gemeinderäten vertreten. Die Briefeschreiber würdigen Ziegers Entschuldigungsschreiben - sie hätten es „positiv zur Kenntnis genommen“. Vorausgegangen war ein Brief der Oberbürgermeisters an die Fraktionschefs, in dem Zieger schrieb, die Diskussion zu Verkehrsfragen habe sich hochgeschaukelt und eine eigene Dynamik entwickelt, die er im Nachhinein „sehr bedauere“. Soweit er dadurch das „wichtige sachlich-konstruktive und vertrauensvolle Miteinander von Verwaltung und Gemeinderat belastet habe, entschuldige ich mich dafür“, heißt es in dem Schreiben. „Ich bin aber auch nur ein Mensch.“ Das Schreiben enthält zudem eine Rechtfertigung: Nicht zuletzt die jahrelangen persönlichen Angriffe von Hauser hätten ihn zu den Entgleisungen verleitet.

Das genügte den Fraktionschefs aber mit Blick auf die Zukunft offenkundig nicht. Indirekt werfen sie Zieger in dem Brief eine paternalistische Sitzungsführung vor. „Sie sind nicht der Richter, der darüber entscheidet, ob eine politische Position richtig oder falsch ist. Welche Position trägt, das entscheidet die Mehrheit des Gemeinderats.“ Johannes M. Fischer