Zwischen Neckar und Alb

Esslinger Bürger setzen ein Zeichen

Solidarität Nach dem Anschlag in Halle an der Saale haben rund 300 Menschen vor der Esslinger Synagoge im Heppächer eine Mahnwache gehalten.

Mahnwache vor der Esslinger Synagoge für die Opfer von Halle.
Der frühere Esslinger Rabbiner Yehuda Pushkin (rechts) und Prälatin Gabriele Arnold (links) nahmen mit Dekan Bernd Weißenborn (Mitte) an der Mahnwache im Heppächer teil. Foto: Roberto Bulgrin

Der Anschlag in Halle erregt weltweit die Gemüter. In Esslingen und im Landkreis entwickelte sich schnell eine Solidaritätsbewegung. Am Donnerstagabend trafen sich etwa 300 Menschen an der Esslinger Synagoge, um ein Zeichen gegen Antisemitismus und Rechtsradikalismus zu setzen. Initiiert hatte das Treffen der Dekan des Evangelischen Kirchenbezirks Esslingen, Bernd Weißenborn.

„Der Anschlag in Halle geht nicht spurlos an uns vorbei“, sagt Barbara Traub, Sprecherin des Vorstands der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW). Angst spüre sie bei den Mitgliedern der Gemeinden in Esslingen und Stuttgart zwar nicht. „Aber besorgt sind sie natürlich schon, denn die Bedrohung ist jetzt eine Stufe höher.“ Bei dem Gespräch, das Barbara Traub am Tag nach dem Anschlag mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der IRGW geführt hat, sei deutlich geworden, „dass wir Ruhe bewahren und uns vor allem nicht abschrecken lassen werden“. Denn dann hätte der Täter sein Ziel erreicht. „Derartige Anschläge haben ja immer zwei Ziele“, sagt die Vorstandssprecherin. „Man will die Menschen direkt treffen. Und man will erreichen, dass sich die Gesellschaft entsolidarisiert und sich niemand mehr traut, jüdische Einrichtungen zu betreten.“ Und genau das dürfe nicht passieren.

Dass der Esslinger Dekan Bernd Weißenborn spontan zu einer Solidaritätsaktion vor der Esslinger Synagoge eingeladen hat, freut Barbara Traub. „Wir sind in Esslingen sehr gut miteinander vernetzt und werden wunderbar unterstützt.“ Das habe sich nicht nur bei der Spendenaktion für eine neue Thorarolle, sondern auch bei dem Jubiläumsprogramm zum 200-jährigen Bestehen der Esslinger Synagoge gezeigt, das in diesem Jahr gefeiert wird. „Auch mit Blick auf den Anschlag in Halle war es die richtige Entscheidung, das Jubiläum so groß und mit so vielen öffentlichen Veranstaltungen zu feiern“, erklärt Barbara Traub.

„Was muss noch passieren?“

So sieht es auch Wolfgang Drexler, der als Sprecher des Unterstützerkreises jüdische Kultur Esslingen tätig ist. „Solche Veranstaltungen, die das Gemeindeleben öffentlich machen, zeigen, dass die jüdische Gemeinde von Esslingen in der Mitte der Gesellschaft ist und zu uns gehört“, sagt Drexler. Er ist von dem Anschlag in Halle erschüttert. Er sieht ihn als Zeichen, dass sich das rechte Gedankengut in vielen Köpfen breit gemacht hat. „Ich war Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses. Wir haben immer davor gewarnt, wie gefährlich die rechte Szene geworden ist.“ Vor einigen Jahren sei lediglich gedacht worden, was heute an antisemitischem Inhalt ausgesprochen werde. „Und jetzt ist wieder eine Grenze überschritten worden“, sagt er. „Es ist das erste Mal, dass es seit 75 Jahren - seit der Ausrottung der jüdischen Kultur in Deutschland durch das Regime der Nationalsozialisten - wieder solch einen Angriff auf eine Synagoge gegeben hat. Was muss denn noch alles passieren, damit die Menschen endlich aufwachen?“

„Ich glaube, wir müssen uns wacher zeigen rechtsextremistischen Kräften gegenüber.“ Bernd Weißenborn ist davon überzeugt, „dass wir uns klar von solchen Untaten und einer Gesinnung, die hinter diesen bösen Taten steht, distanzieren müssen.“ Antisemitismus und Rechtsradikalismus müsse klar widersprochen werden. „Da braucht es Abgrenzungen und das deutliche Wort und das Aufstehen aller gegen die Kräfte, die unser wunderbares Land kaputt machen wollen.“ Wichtig sei auch die kompromisslose Solidarität mit jüdischen Menschen und den jüdischen Gemeinden.ez

Mahnwache in Kirchheim: Die Critical Mass gedachte gestern vor ihrer Fahrradaktion in Kirchheim der Opfer in Halle. „Wir fordern endlich ein konsequentes Handeln gegen diese rechte Gewalt“, sagte Heinrich Brinker als Sprecher der Critical Mass. Willi Kamphausen als engagierter Bürger und überzeugter Christ machte auf die verhängnisvolle Geschichte der Juden in Kirchheim aufmerksam. „Wir brauchen die tägliche Solidarität und eine Gesellschaft, in der nicht ausgegrenzt, sondern integriert wird“, so Kamphausen.