Zwischen Neckar und Alb

Europa braucht Brückenbauer

Vinzenzifest Egerländer und Wendlinger feiern zum 67. Mal das traditionelle Erntefest gemeinsam in der baden-württembergischen Patenstadt. Von Gaby Kiedaisch

Trachtenumzug und Prozession gehören zum Brauchtum des Egerländer Vinzenzifests.Fotos: Jürgen Holzwarth
Trachtenumzug und Prozession gehören zum Brauchtum des Egerländer Vinzenzifests.Fotos: Jürgen Holzwarth

Politische Aussagekraft hat Ende August in Wendlingen stets die Vinzenzirede. Mit Spannung erwartet wurde deshalb die Rede von Evelyne Gebhardt (SPD). Wie kaum ein Redner vorher personifiziert die gebürtige Französin „die deutsch-französische Freundschaft und damit den Kern des europäischen Integrationsprozesses“. Als Abgeordnete sitzt sie seit 1994 für die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament und ist seit 2017 dessen Vizepräsidentin. Außerdem ist sie Landesvorsitzende der überparteilichen Europa-Union in Baden-Württemberg, in der sie sich mit vielen Bürgern und Kommunen für die Ziele eines Vereinten Europas engagiert.

Ihr Vortrag stand unter dem Titel: „Unsere Heimat. Unsere Zukunft. Unser Europa.“ Gebhardt ging dabei auf die unterschiedliche Begrifflichkeit von Heimat ein. Es gebe Ansichten, dass Heimat nur auf gemeinsamen Traditionen, auf Kultur und Sprache basiere. Wenn das so wäre, so Evelyne Gebhardt, dann hätten die Deutschen wohl ein Problem. Denn nicht alle sprechen die gleiche Sprache. Man denke nur an das Plattdeutsche oder an das Kölsche.

Für die überzeugte Europaparlamentarierin liegt „Gemeinsamkeit in der Vielfalt“. „Wir wollen nicht Gleichmacherei, sondern ein Europa der kulturellen Vielfalt“, sagte sie, das sei die Zukunft des Kontinents. Rückblickend auf zwei Weltkriege mit vielen Vertriebenen und Flüchtlingen, sollte man daraus Lehren ziehen: Sie sei stolz auf des Grundgesetz und die Charta der Grundrechte der Europäischen Union: „Es gibt keine Menschen erster und zweiter Klasse.“ Rechtspopulistischen Parteien erteilte sie damit eine klare Absage. Sie räumte aber auch ein, dass das Zusammenwachsen von Europa noch viel Arbeit bedeutet: „Nur mit Solidarität kommen wir voran.“ Bezogen auf die Geflüchteten sagte sie: „Wir müssen Menschen, die ein Bleiberecht haben, bei uns eine Zukunft geben.“

Wendlingens Bürgermeister Steffen Weigel überreichte der Vizepräsidentin zum Andenken an diesen Tag eine beim Cityfest gegossene Büttelglocke mit den Worten: „Falls es im Europäischen Parlament mal wieder hoch her geht, können Sie gerne die Büttelglocke aus Wendlingen benutzen.“

Ein wichtiger Bestandteil des Vinzenzifests ist auch die Patenschaftsratssitzung. In ihr tauschen sich Egerländer und die Patenstadt Wendlingen aus. „In Zukunft werden wir zunehmend auch über Themen wie Flucht und Vertreibung in heutiger Zeit in diesem Rahmen diskutieren“, kündigte der „Patenonkel“, Bürgermeister Weigel, an. Die Vertriebenenverbände und die Heimatvertriebenen „sind in ihrer großen Mehrheit schon immer an einer Aussöhnung in Europa interessiert und sind nicht zuletzt aufgrund der Charta der Heimatvertriebenen Brückenbauer in Europa geworden“. Europa brauche solche Brückenbauer, die aus eigener Erfahrung berichten könnten, wie schmerz- und leidvoll es ist, wenn sich die Völker nicht untereinander verstehen und sich gar kriegerisch auseinandersetzen.

Zur Vielfalt des Festes passt auch, dass erstmals der nigerianische Pfarrer Kenneth Nwokolo, der sogenannte „Sommerpfarrer“ die Teilreliquie des Heiligen Vinzenz, begleitet von zahlreichen Würden- und Trachtenträgern, von St. Kolumban zum Marktplatz trug. Vor einer großen Schar von Gläubigen hielt er den traditionellen Festgottesdienst, untermalt vom Kirchenchor und dem Musikverein Unterboihingen. Eine musikalische und tänzerische Bereicherung war die walisische Gruppe Dawnswyr Bro Cefni sowohl beim Empfang der Stadt und zur Eröffnung des Vinzenzifests.

Eröffnet worden war auch die Ausstellung „Egrische Federbilder“ im Rathaus. Diese besondere Kunst mit Vogelfedern griff auch Alexander Friedl bei seinem Festvortrag während der Patenschaftsratsitzung auf. Unter dem Titel „Volkskunst der Egerländer - von damals bis heute“, gab er einen erweiterten Einblick in die kulturelle Kunst im Egerland. Dabei erfuhr man, dass Goethe ein Förderer der Egerer Volkskunst gewesen sei. Und nicht nur das, sondern dass er zu den prominenten Besuchern des Vinzenzifest in Eger gehörte - vor 197 Jahren. Auch die Egerländer Tracht wird heute im Trachtenbuch von Baden-Württemberg gezeigt, was Friedl mit folgenden Worten kommentierte: „Wir freuen uns, auch hier integriert zu werden.“

Trachtenumzug und Prozession gehören zum Brauchtum des Egerländer Vinzenzifests.Fotos: Jürgen Holzwarth
Trachtenumzug und Prozession gehören zum Brauchtum des Egerländer Vinzenzifests.Fotos: Jürgen Holzwarth