Zwischen Neckar und Alb
Fatih Akin dreht in Esslingen für sein Gangster-Drama

Film Der berühmte Regisseur hat in Esslingen einige Tage für sein Werk „Rheingold“ gedreht. Vorlage für den Streifen ist die Biografie des Rappers Xatar, der einst in Ludwigsburg einen Geldtransport überfallen hat. Von Petra Pauli

Warnbaken und Verbotsschilder – die Esslinger kennen das. Ungewöhnlich ist dieses Mal aber der Grund für die zeitweise Durchgangssperre am Roßmarkt. Es sind keine Bauarbeiten im Gange. Vor dem Antiquitätenladen „Domizil“ wurden diese Woche Szenen für einen Kinofilm gedreht.

Neugierig bleiben Passanten stehen und versuchen, etwas Spannendes zu erhaschen. Um die Mittagszeit tut sich noch nicht viel.

 

„Es ist schon ein großes Glück, überhaupt wieder drehen zu dürfen.
Karen Rudolph

 

Am Straßenrand werden Regiestühle auseinandergeklappt und die technische Ausrüstung auf kleinen Rollwagen angekarrt. „Ist denn jemand Prominentes dabei?“ möchte ein Passant von den Security-Leuten in gelben Warnwesten wissen. Viel dürfen sie nicht verraten – Anweisung vom Auftraggeber. Gedreht wird ein Film mit dem Arbeitstitel „Rheingold“. Der Regisseur ist Fatih Akin, einer der Großen im Kinogeschäft. Er wird die außergewöhnliche Geschichte von Giwar Hajabi alias Xatar auf die große Leinwand bringen.

Wer mehr wissen will, googelt auf dem Handy: Am 15. Dezember 2009 überfiel Hajabi, 1981 im Iran geboren und kurdischer Abstammung, gemeinsam mit drei Komplizen unweit von Ludwigsburg einen Goldtransporter. Die als Steuerfahnder und Polizisten verkleidete Gruppe erbeutete dabei Gold im Wert von etwa 1,7 Millionen Euro. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft erhob am 14. Juli 2010 Anklage gegen Hajabi und fünf weitere Tatverdächtige. Das Stuttgarter Landgericht verurteilte ihn am 22. Dezember 2011 wegen schweren Raubes, gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung zu acht Jahren Haft. 2014 kam er vorzeitig frei und machte als Gangster-Rapper, Gastronom und Musikproduzent Karriere.

Basislager auf dem Marktplatz

Zu sehen ist von Fatih Akin bei den Dreharbeiten am ersten Tag nicht viel. Akin ist eingemummelt in eine lila Winterjacke, die Kapuze hochgezogen. Um ihn herum wimmelt es nur so von Helfern. Wer gehört zum Set? Und wer ist nur Anwohner? Mitunter weiß auch die Crew das nicht mehr so genau. Der Mann auf dem Klapp-Fahrrad wird von den Sicherheitsleuten gleich zwei Mal angehalten. Dabei ist er einer von ihnen und bringt wichtigen Nachschub: Am Lenker baumelt eine große Thermoskanne mit der Aufschrift „Kaffee“. Verpflegt wird das Filmteam, das mit 82 Leuten vor Ort ist, auf dem Esslinger Marktplatz. Der ist komplett zugeparkt: eine Bastion aus Essenswagen, Produktionsfahrzeugen und Zelten.

Die Hauptrolle in dem auf Xatars Biografie „Alles oder Nix“ basierenden Gangster-Drama spielt Emilio Sakraya – auch er ist eine Berühmtheit. Der 24-Jährige spielte zuletzt den Kiano, eine Hauptrolle in der Netflix-Serie „Tribes of Europa“, und ist Musiker. Vergangenes Jahr erschien sein Debütalbum „Roter Sand“.

Aufnahmen strengstens verboten

Auch er soll am Drehort am Roßmarkt sein. Wer reflexartig sein Handy zückt, wird freundlich, aber bestimmt von den Security-Leuten zurechtgewiesen: Aufnahmen sind strengstens verboten. Überhaupt sind die Filmleute zwar nett, wollen aber keinen Kontakt zur Öffentlichkeit. Pressefrau Karen Rudolph von der Agentur Box Fish Films begründet die Geheimnistuerei mit Corona und wirbt um Verständnis. „Es ist schon ein großes Glück, überhaupt wieder drehen zu dürfen. Um das Risiko eines Produktionsausfalls so gering wie irgendwie möglich zu halten, wird während der Dreharbeiten auf externe Kontakte so viel wie möglich verzichtet“, erklärt sie.

Gefilmt wird in Esslingen die Szene, wie ein Juweliergeschäft ausgespäht wird. Ein schwarzer Mercedes-SUV wird vorbereitet, Puschel-Mikrofone in Position gebracht, Kameras eingestellt. Die Spannung steigt. Dann kommt die Durchsage aus einem der Funkgeräte, dass man sich doch für einen Parkplatz weiter vorne entschieden hat. Das Auto wird also umgeparkt, die komplette Ausrüstung wandert eine Parkbucht weiter.

Das Müllauto muss durch

Immer wieder muss die Straßensperrung aufgehoben werden: Mal muss das Müllauto durch, mal ein Anwohner, mal ein Schüler. „Da sieht man mal, wie viel Arbeit so ein Film macht“, sagt eine Zuschauerin anerkennend.

Jetzt kann es losgehen, endlich. Es wird absolute Ruhe gefordert. Zu sehen bekommen die neugierigen Zuschauer aus der Ferne: fast nichts. Vor dem Juweliergeschäft laden Männer Kisten in einen Lastwagen, und irgendetwas passiert in dem Mercedes. „Da ist aber nicht gerade viel Action“, bringt es eine Passantin etwas enttäuscht auf den Punkt. Einige Schaulustige ziehen weiter. Den Promi, Schauspieler Emilio Sakraya, haben sie vielleicht gar nicht erkannt. Denn der hat sich für die Rolle eine Glatze rasieren lassen, wie Pressefrau Rudolph später bestätigt.

 

Für den neuen Film geht es auch nach Marokko

Regisseur Fatih Akin wurde mit dem Streifen „Gegen die Wand“ berühmt, 2018 erhielt der Schauspieler, Produzent und Drehbuchautor zudem für seinen Spielfilm „Aus dem Nichts“ den Golden Globe.

Der Film mit dem Arbeitstitel „Rheingold“ wird von Warner Bros zusammen mit Fatih Akins Firma Bombero International produziert. Im Dezember soll er abgedreht sein und könnte im Frühjahr in die Kinos kommen.

Weitere Drehorte neben Esslingen sind Stuttgart, Pforzheim, Berlin und Hamburg sowie Orte in den Niederlanden und in Marokko. pau