Zwischen Neckar und Alb

Flüchtlingsprotest vor dem Rathaus

Etwa 40 Menschen prangern für sie untragbarer Zustände in der Massenunterkunft auf dem Säer an

Auflauf vor dem Nürtinger Rathaus: Etwa 40 Flüchtlinge protestierten gegen die Zustände in der Massenunterkunft in der kreiseigenen Sporthalle auf dem Säer.

Spontane Aktion: Flüchtlinge protestieren gegen Zustände in ihrer Unterkunft auf dem Säer. Foto: Jürgen Holzwarth
Spontane Aktion: Flüchtlinge protestieren gegen Zustände in ihrer Unterkunft auf dem Säer. Foto: Jürgen Holzwarth

Nürtingen. Christina Neumann vom Arbeitskreis Asyl in Neckarhausen kam zufällig in der Marktstraße vorbei, sah die Männer, die mit Filzstiften Parolen auf Pappkartons geschrieben hatten – zum Beispiel „Wir sind nitch Tiere“ –, und unterhielt sich mit ihnen. „Die Situation dort in der Unterkunft mit 200 Menschen auf einem Fleck mit so gut wie keiner Intimsphäre macht schon psychisch dünnhäutig“, ist ihr Eindruck. Ihr gegenüber sei zum Beispiel beklagt worden, dass die gesundheitliche Versorgung nicht ausreichend sei. So habe ihr ein Mann erzählt, dass er wegen seiner Stichwunden aus der Heimat große Schmerzen habe. Die Behandlung müsse aber erst einmal über die Arbeiterwohlfahrt beantragt werden: „Das Ja dauert dann aber oft viel zu lange.“

Im Moment sei die Lage auf dem Säer wohl sehr angespannt, vor zwei Wochen demgegenüber sehr ruhig. Laut ihrem Eindruck wechsle das, je nachdem, wer ins Lager komme oder da rausgehe: „Manche sind seit Beginn da, andere wieder nur für zwei Wochen. Manche Nationen kommen schnell raus, andere leider nicht.“

Das erklärt Peter Keck, Sprecher des Landratsamtes Esslingen, damit, dass die Möglichkeit, die Unterkunft zu verlassen, von der Entscheidung über den Antrag des Flüchtlings auf Anerkennung abhänge: „Der Landkreis hat allerdings keinen Einfluss auf die Entscheidungsgeschwindigkeit oder -strukturen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF).“

Zwar sei das Lager im Moment nicht voll belegt, sagt Christina Neumann: „Aber 200 Leute unter einem Dach reichen auch schon, um für Hochspannung zu sorgen.“ Die Flüchtlinge hätten ihr gegenüber die Angst artikuliert, dass die Situation auf dem Säer eskaliere: „Es wird viel gestohlen. Nicht zuletzt Handys, die alle Kontaktdaten dieser Menschen enthalten.“ Auch Messerstechereien habe es gegeben. Viele fühlten sich unsicher und wollten mittlerweile lieber draußen unter freiem Himmel als in der Sporthalle schlafen.

Was aber kann der Landkreis tun? Laut Peter Keck gilt es dabei zwei Dinge zu beachten: Der Landkreis müsse zuerst einmal sein Defizit bei der Flüchtlingsaufnahme gegenüber dem Land Baden-Württemberg abbauen. Das werde man vermutlich bis August schaffen. Während der Sommerferien könne man dann beginnen, die Sporthallen zu räumen. Das werde aber noch zwei bis drei Monate dauern: „Wir wissen, dass die Situation nicht optimal ist. Aber angesichts der Menge der Flüchtlinge, die wir aufgenommen haben, geht es darum, erst mal nachhaltige und gute Unterkünfte zu schaffen“.

Es brauche aber Zeit, das zu realisieren: Zum Bau oder Umbau eines Hauses braucht man nun mal ein halbes oder dreiviertel Jahr. „Dass der Säer keine ideale Unterkunft ist, wissen wir selbst“, so Keck. Eins sei auch klar: Bei der Lösung dieser Aufgabe müssten alle Kommunen mithelfen. Auch die, die bislang keinen einzigen Flüchtling aufgenommen hätten, hätten nun ihren Beitrag zu leisten und kämen bei der Erstaufnahme und Anschlussunterbringung nunmehr bevorzugt dran.

„Wir sind in Kontakt und gucken, was wir in Sachen Betreuung unternehmen können“, sagt der Pressesprecher. Eins ist Christina Neumann dabei besonders wichtig: Dass die Lage nicht außer Kontrolle gerät. Sie hat daher an die Flüchtlinge appelliert, dafür zu sorgen, dass die Lage nicht eskaliert. Das hätten die auch zugesagt und seien gegen 11.30 Uhr wieder in ihrer Unterkunft gewesen. „Alles war friedlich. Ich habe keine Aggressivität gespürt. Dass die Männer manchmal laut und heftig reden, gehört eben zu deren Kultur. Mehr war nicht“, so die Einschätzung der Ehrenamtlichen.

Nicht verstehen hätten die Flüchtlinge auch können, dass kein führender Repräsentant der Stadtverwaltung zu einem Gespräch bereit gewesen sei: Für sie sei es halt unverständlich, dass sie zwar in Nürtingen untergebracht sind, aber der Oberbürgermeister nicht für sie zuständig ist, sondern der Landkreis.