Zwischen Neckar und Alb

Geistliches Wort

Martinskirche Neue Fenster Kirche Gerüst
Symbolbild

Alte Kirchengebäude wie die Kirchheimer Martinskirche sind schön. Sie gehören wesentlich zum „Gesicht“ einer Stadt. Aber man muss sie oft aufwendig erhalten, und das kostet Geld. Aber muss man sie denn erhalten? Wozu sind sie da, die Kirchengebäude? Ihr Nutzen ist nicht so offensichtlich wie bei einer Schule, einer Bibliothek, einem Büro- oder Fabrikgebäude.

Viel hängt davon ab, die Kirchen nicht vorrangig als Bauwerke, sondern als Räume zu verstehen. Von seiner Grundbedeutung her hat das deutsche Wort „Raum“ den interessanten Hauptakzent der „Weite“. Wo Raum ist, da kann sich etwas ausbreiten, kann etwas wachsen und sich entfalten. Raum bedeutet vor allem „Entfaltungsraum“.

In den Psalmen in der Bibel ist genau das aufgenommen in solchen Formulierungen wie zum Beispiel „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“. Damit ist die Verheißung ausgedrückt, dass Gott Raum schafft zum Leben.

Die Bedeutung unserer Kirchenräume besteht nicht vorrangig darin, einen äußeren Raum zur Versammlung von Menschen anzubieten. Vor allem haben unsere Kirchen den Zweck, den inneren Raum des Glaubens zu eröffnen. Deswegen sind sie besonders gestaltete und ausgestattete Räume, die sich von einer Bahnhofsvorhalle oder einem Kaufladen oder einem Wohnzimmer unterscheiden.

Unsere Kirchen geben nämlich dem Raum, was uns Menschen fundamental bestimmt - sie geben unseren innersten Sehnsüchten und Befürchtungen Raum. Im Kirchenraum hat zum Beispiel die Sehnsucht nach Ruhe und Gelassenheit Raum. Hier hat die Sehnsucht nach echter Geschwisterlichkeit der Menschen Raum. Hier hat die Sehnsucht nach Kraft, nach Trost, nach Weisheit Raum. Und es hat die Sehnsucht nach dem Leben über den Tod hinaus, die Sehnsucht nach dem Himmel Raum. All das darf hier Raum haben, wo doch sonst in unserer materiell bestimmten Welt fast nur Nutzen, Macht und Geld eine Rolle spielen. Und in diesem besonderen Entfaltungsraum der Kirchen können die Sehnsüchte und Befürchtungen dann auf die Verheißungen des Glaubens treffen: im Beten und Innehalten. In verschiedenen Gottesdiensten und Andachten. In der Predigt. In Kirchenkonzerten. In den Kunstwerken, mit denen die Kirche spricht. Im stillen Raum, den die tagsüber geöffnete Kirche mitten im Getriebe des Alltags eröffnet.

So sind unsere Kirchen Sehnsuchtsräume und Verheißungsräume zugleich - und damit sind sie eigentlich „Unterbrechungsräume“ in der Alltäglichkeit der Welt, die eminent wichtig sind und wichtig bleiben. Deswegen sollten wir sie so gut wie möglich erhalten und gestalten.

 

Jochen Maier

Pfarrer an der evangelischen Martinskirche Kirchheim