Kirchenglocken rufen zum Gottesdienst. Doch warum läuten sie auch zu anderen Tageszeiten? Bei vielen Menschen sei das Wissen um das Gebetsläuten im Tageslauf verloren gegangen, bedauert Claus Huber, Glockensachverständiger der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, der in Esslingen zu Hause ist. Dabei sei es doch wichtig zu wissen, warum zu verschiedenen Zeiten bestimmte Glocken ertönten. „Es sind wunderbare alte Musikinstrumente.“
Glocken rufen zum Gottesdienst, fordern auf zum Gebet und erinnern an die Kreuzigung Christi. Deshalb unterscheide man zwischen Zeichen-, Bet- und Kreuzläuten, erklärt Huber. Jede Kirchengemeinde legt in einer sogenannten „Läuteordnung“ fest, wann welche ihrer Glocken eingesetzt und zu welchen Zeiten geläutet wird. Oft kommt dann Claus Huber ins Spiel und berät Kirchengemeinden in dieser Frage. Der Klang der Betglocke soll zum Beispiel zur Unterscheidung tiefer sein als der der Kreuzglocke.
So kommt die Kirche ins Haus
„Durch das tägliche Läuten kommt die Kirche auch werktags ins Haus“, erklärt Huber. Geläutet wird traditionell zum Tagesanbruch gegen sechs oder sieben Uhr zum Morgengebet, mittags zum Friedensgebet und bei Einbruch der Dunkelheit zum Abendgebet. Nicht alle Gemeinden läuten zusätzlich noch bis zu viermal täglich die Kreuzglocke im Gedenken an die Passion Christi. Eher selten werde um neun Uhr zur Aufrichtung des Kreuzes geläutet, weiß Huber. Um elf Uhr erinnert das Kreuzläuten an die einbrechende Finsternis und den Beginn des Todeskampfes Christi. Das Läuten um 15 Uhr markiert seine Todesstunde. „Manchmal geschieht dies freitags wie etwa in der Esslinger Stadtkirche mit einem besonderen Geläut“, erklärt Huber. Das Vesperläuten zwischen 16 und 18 Uhr sei Zeichen für die Kreuzabnahme und Grablegung.
Mit dem „Zeichenläuten“ wird auf den Gottesdienst hingewiesen. Die ersten Klänge gibt die Zeichenglocke. Das Läuten vor dem Gottesdienst diene aber auch dazu, dass sich Menschen innerlich darauf vorbereiten, sagt der Glockenfachmann. Meist gibt es zwei „Vorzeichen“, eine ganze und eine halbe Stunde vor Beginn, bevor dann zum Anfang des Gottesdienstes mit mehreren oder allen Glocken geläutet wird.
Zu bestimmten Anlässen kommt dann im Gottesdienst jeweils nur eine Glocke zum Einsatz: Mit der Taufglocke rufe man diejenigen zur Fürbitte für Täufling und Taufeltern auf, die nicht im Gottesdienst anwesend sind. Das gleiche gelte für das Läuten während des Vaterunsers.
Etliche Traditionen seien verloren gegangen, bedauert Huber. Aus Rücksicht auf Anwohner blieben die Glocken oft am Sonntagmorgen zum Betläuten stumm. „Manche Gemeinden besinnen sich aber auch wieder auf die alten Traditionen.“ Den Esslinger freut besonders, dass in seiner Heimatstadt seit einigen Jahren die Tradition des „Christi Angstläuten“ am Donnerstagabend wieder aufgenommen wurde. „Es dient dem Gedächtnis an den Gebetskampf von Jesus im Garten Gethsemane“, erläutert Huber. Geläutet wird dafür mit der ältesten Glocke im Turm der Stadtkirche. Sie wurde um 1200 gegossen, ist 700 Kilo schwer und diente früher als Feuer- und Sturmglocke. Sie ist durch ihren harten und dissonanten Klang charakterisiert und passt deshalb zum Anlass besonders gut. Huber plädiert dafür, dass das Zusammenspiel der Glocken dem Anlass angepasst wird: „Zu einem Auferstehungsgottesdienst muss man anders läuten als zu einer Passionsandacht.“
Beschwerden gebe es eher selten wegen des Läutens der Glocken zu bestimmten Anlässen, sondern häufiger wegen des Uhrschlags in der Nacht, weiß Huber. Dieser unterliegt, anders als das Geläut, den Lärmschutzrichtlinien. Gibt es Klagen, nimmt der Sachverständige vor Ort Messungen vor und gibt Tipps, wie man etwa durch Veränderungen an den Schallläden oder den Uhrhämmern den Schall reduzieren kann. „Das Läuten zu Gebet, Gottesdienst oder anderen liturgischen Anlässen steht unter dem Schutz der Religionsfreiheit“, erklärt Huber. Dennoch nähmen viele Gemeinden Rücksicht auf veränderte Lebensgewohnheiten. „Manche Menschen vermissen den Glockenklang aber auch.“