Zwischen Neckar und Alb

Hätte Esras Tod verhindert werden können?

Vor 16 Monaten starb eine 21-jährige Patientin nach einer Routine-Operation in der Filderklinik

Wurde bei der Behandlung einer 21-jährigen Patientin im April 2015 gepfuscht? Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart
Das Verfahren gegen einen leitenden Arzt der Filderklinik wurde vom Amtsgericht Nürtingen eingestellt. Archiv-Foto: Roberto Bulgrin

Filderstadt. Gut 16 Monate ist es her, seit die Filderklinik in Filderstadt-Bonlanden mit einem schlimmen Vorfall von sich reden machte: Eine 21-Jährige starb nach einer

Harald Flößer

Routine-Operation in der Gynäkologie-Abteilung (wir berichteten). War es Ärztepfusch? Hätte der Tod von Esra verhindert werden können? Diese Fragen will die Familie der auf tragische Weise ums Leben gekommenen Deutsch-Türkin seither beantwortet wissen. Doch ein Ergebnis der komplizierten Untersuchungen steht noch immer aus. „Die Ermittlungen laufen noch“, teilt Jan Holzner, der Sprecher der Staatsanwaltschaft Stuttgart, auf Anfrage mit. Das ist an sich keine Besonderheit. Denn in Fällen wie diesen dauern die strafrechtlichen Auseinandersetzungen um die Schuldfrage oft zwei bis drei Jahre. Bemerkenswert ist jedoch, dass die Sache zivilrechtlich längst vom Tisch ist.

Die Haftpflichtversicherung der Klinik hat den Hinterbliebenen bereits nach wenigen Monaten ein Schmerzensgeld in unbekannter Höhe für das Leiden der Tochter gezahlt – was zunächst nach einem Eingeständnis von fehlerhaftem ärztlichen Verhalten aussieht. Das könne man daraus überhaupt nicht folgern, erklärt Volker Ernst, der kaufmännische Geschäftsführer der Filderklinik. Das privatrechtliche Haftungsverfahren sei losgelöst von der strafrechtlichen Beurteilung zu betrachten. Und da seien noch viele Fragen zu klären. Geschäftsführer Ernst bittet um Verständnis, dass er zu den laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nichts sagen will. Seine Klinik habe von Anfang an dabei mitgewirkt, den Fall lückenlos aufzuklären. Deswegen habe man auch selbst sofort die Staatsanwaltschaft eingeschaltet.

Rückblende: Am 24. April 2015 beruft die Klinikleitung kurzfristig eine Pressekonferenz ein. Wenige Stunden zuvor hat sich die Kunde von unerhörten Vorgängen im Krankenhaus verbreitet: Eine 21-Jährige liege im Sterben, weil sie bei einer Routine-OP regelrecht verblutet sei. Die Rede von ärztlichem Fehlverhalten macht schnell die Runde. Mehr oder weniger bestätigt wird sie auch vom ärztlichen Direktor Bernd Voggenreiter. Denn er spricht öffentlich von einem „Behandlungsfehler“, noch bevor Untersuchungen dazu eingeleitet sind.

Esra war mit Unterleibsschmerzen ins Krankenhaus gekommen. Als mögliche Ursache wurde eine Zyste diagnostiziert. Die junge Frau stimmte einer Bauchspiegelung (Laparoskopie) zu. Ein Eingriff wie er täglich tausendfach in Kliniken vorgenommen wird. Unerwartet kam es zu einer schweren Komplikation: Mit einer spitzen Metallhülse, die dabei in den Bauchraum eingeführt wird, verletzten die behandelnden Ärzte die Beckenvene so stark, dass es zu einer massiven inneren Blutung kam. Diese konnte offenbar nicht schnell genug gestoppt werden. Der Blutkreislauf war zu lange unterbrochen. Die Folge: irreversible Hirnschäden. Fünf Tage später starb die 21-jährige Patientin.

Wie Voggenreiter damals berichtete, hatten sich bei der Operation dramatische Szenen abgespielt. Erst wurde ein Bauchchirurg aus dem Haus hinzugeholt. Weil auch der nicht helfen konnte, die Blutung aus der Beckenvene zu stoppen, ließ man mit Blaulicht einen Gefäßchirurgen aus dem Städtischen Klinikum Esslingen kommen. Nach 28 Minuten war er zur Stelle. Dennoch konnte auch der Spezialist nicht verhindern, dass die 21-Jährige verblutete.

Unmittelbar nach der Selbstanzeige wurde die Staatsanwaltschaft Stuttgart tätig. Ihre Ermittlungen richten sich gegen einen leitenden Arzt, der nach dem Vorfall für einige Zeit vom Dienst suspendiert war, aber seit Langem wieder seine Arbeit in der Klinik verrichtet. Ist dem Mediziner fahrlässiges Handeln nachzuweisen, das letztlich zum Tode der Patientin führte? Mehrere Gutachter wurden eingeschaltet. Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen liegen der Staatsanwaltschaft längst vor. Doch es seien noch einzelne Fragen offen, erklärt deren Sprecher Jan Holzner. Zur Frage, wo die Streitpunkte liegen, will er sich nicht äußern. Dem Vernehmen nach geht es unter anderem um die Frage, ob bei der Laparoskopie genügend Gas in den Bauchraum geblasen wurde, bevor die spitze Metallhülse eingeführt wurde. Das Gas, Kohlendioxid oder Lachgas, verwendet man, um die inneren Organe so freizulegen, dass man beim folgenden Eingriff gut an sie herankommt und andere, gesunde Teile des Bauchraums nicht verletzt.

Anna Grub, Fachanwältin für Medizinrecht aus Stuttgart, vertritt die Angehörigen der verstorbenen Esra. Dass die Klinikleitung damals gleich von sich aus an die Öffentlichkeit gegangen ist, sei von der Familie der toten Esra positiv aufgenommen worden, berichtet sie. Diese Offenheit sei nicht alltäglich. Doch will die Rechtsanwältin verhindern, dass die Sache im Sande verläuft und die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen irgendwann einstellt. Die Angehörigen wollten zu Recht geklärt wissen, ob der zuständige Arzt bei der Operation seine Sorgfaltspflicht verletzt hat, sprich, ob in dem Fall eine fahrlässige Tötung vorliegt.

Ungewöhnlich findet Rechtsanwältin Anna Grub die Diskrepanz zwischen zivilrechtlicher und strafrechtlicher Aufarbeitung des Falls in der Filderklinik. „Warum stellen sich im Strafverfahren so viele Fragen zur ärztlichen Fahrlässigkeit, wenn doch Klinik und Versicherung gleich von Haftung ausgegangen sind?“