Zwischen Neckar und Alb

Halt suchen in einer zerfallenden Welt

Ausstellung Der äthiopische Maler Tesfaye Urgessa zeigt seine Ölbilder in der Galerie der Stadt in Wendlingen. Der Künstler ist bereits erfolgreich in der jungen Kunstszene. Von Elisabeth Maier

Ölbilder und Kohlezeichnungen sind das Metier des Künstlers Tesfaye Urgessa, der in Nürtingen lebt.Foto: Roberto Bulgrin
Ölbilder und Kohlezeichnungen sind das Metier des Künstlers Tesfaye Urgessa, der in Nürtingen lebt.Foto: Roberto Bulgrin

Bilder von nackten Menschen, die um ihr Leben ringen, hängen im Atelier des Malers Tesfaye Urgessa in Nürtingen. Die riesigen Leinwände sind erst halb fertig. Schön ist da zu erkennen, dass der Künstler in dicken Farbschichten malt. Viele der Körper sind gekrümmt. Sie wirken verletzt. Und doch ist der kämpferische Impuls nicht zu übersehen. Denn der Äthiopier, der vor sieben Jahren als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdiensts nach Stuttgart kam, malt starke Menschen, die vor Energie strotzen. Viele bäumen sich gegen Ungerechtigkeit auf.

Spannende Entdeckung

Noch bis Sonntag, 5. November, sind die Werke des 33-Jährigen in der Galerie der Stadt in Wendlingen zu sehen. In der Kunstszene hat er schon jetzt einen guten Namen. Vor zwei Jahren schaffte es der Absolvent der Akademie der Bildenden Künste ins Finale des Wettbewerbs in der Kunsthalle Bonn. Seine Werke sind in namhaften Galerien in ganz Deutschland zu finden. Für den Stuttgarter Galeristen Marko Schacher ist er eine der besonders spannenden Entdeckungen der jungen Kunstszene.

Inzwischen lebt Urgessa, der bei Professorin Cordula Güdemann studiert hat, mit seiner Familie in Nürtingen. Da lehrt der Äthiopier, der eigentlich vom Kunststudium in den USA träumte, an der Freien Kunstschule. Dieses Umfeld gefällt ihm gut. Immer wieder schauen seine Studierenden vorbei, wenn er im Atelier arbeitet. „Der Austausch über Kunst ist wichtig“, findet der Maler, dem die Lehre Freude macht. Seinen Schwerpunkt sieht er aber im eigenen künstlerischen Schaffen.

Gern nimmt er sich Zeit für Gespräche. Aber meist arbeitet der Künstler mit der blauen Schürze voller Farbsprenkel hoch konzentriert. Auf dem Boden stehen etliche Dosen mit Ölfarbe. Auf einem Mischbrett rührt der Künstler die vielschichtigen Farbtöne zusammen, die seine Arbeiten prägen.

Helle Ölfarbe verleiht der Haut der Figuren einen natürlichen Glanz. „Free Fall 2“, auf Deutsch: freier Fall, heißt eines der Bilder. Da liegt der Körper einer Frau auf dem Bett. Die Kraft scheint aus den Gliedern zu schwinden. Über ihr sitzt ein Mann. Obwohl die Augenpartie verwischt ist, scheint er die Betrachter zu fixieren.

Urgessas Bilder laden zu einem faszinierenden Dialog ein. Denn die Figuren, die so nackt und bloß erscheinen, verwickeln ihr Gegenüber in einen reizvollen Dialog, der sich allein im Kopf abspielt.

Körper, die in die Tiefe fallen, geballte Fäuste und Hände, die sich verzweifelt am Bein eines anderen Menschen festklammern. Urgessas Figuren sprechen eine klare Sprache. Der Künstler malt Menschen, die Halt suchen in einer zerfallenden Welt. Der Maler, der in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba mit dem Kunststudium begann, spiegelt starke Gefühle. Verkopfter Interpretation entziehen sich seine surrealen Kunstwerke.

Das Leben zwischen zwei Kulturen fällt Urgessa leicht. Längst fühlt er sich in Nürtingen zu Hause. Und obwohl er inzwischen nahezu perfekt Deutsch spricht, hallt die Erinnerung an seine Wurzeln in Äthiopien in seinem Schaffen nach. Die starken, stolzen Menschen, die er malt - viele von ihnen fallen ins Ungewisse. Beherzt lässt sich der Maler auf diese Reise ein.

Info Werke des äthiopischen Künstlers Tesfaye Urgessa sind noch bis Sonntag, 5. November, in der Galerie der Stadt Wendlingen, Weberstraße, zu sehen. Öffnungszeiten sind mittwochs bis samstags von 15 bis 18 Uhr sowie sonntags von 11 bis 18 Uhr.