Zwischen Neckar und Alb

Hartz-IV-Beratung: Die Anwälte der Hilfesuchenden können viel erreichen

Hilfe Die Liga der freien Wohlfahrtspflege sieht einen gestiegenen Bedarf bei der unabhängigen Hartz-IV-Beratung.

Reinhard Eberst, Eberhard Haußmann, Brigitte Chyle (v.l.) und im Hintergrund auf der Leinwand Frieder Claus. Foto: pr

Kreis. Hartz-IV-Bescheide sind schwer verständlich und die Sozialgesetzgebung unterliegt einem ständigen Wandel. Viele Hartz-IV-Empfänger sind hilflos im Dschungel der komplizierten Regelungen und Vorschriften, haben Angst um ihre Existenz und fühlen sich ohnmächtig gegenüber den Behörden.

Um solche Menschen zu unterstützen, bietet die Liga der Freien Wohlfahrtspflege im Landkreis Esslingen unabhängige Hartz-IV-Beratung an. Elf verschiedene Einrichtungen beraten in allen vier Regionen des Jobcenters. „Wir verstehen uns als Anwälte der Hilfesuchenden“, erklärt Brigitte Chyle von der Caritas Fils-Neckar-Alb und Vorstandsmitglied der Liga. Die Beratung ist für die Klientinnen und Klienten kostenlos und wird von den Trägern finanziert. „Wir wünschen uns mehr Beratung durch das Jobcenter und gegebenenfalls eine Ausfüllhilfe bei Anträgen“, sagt Eberhard Haußmann, stellvertretender Vorsitzender der Liga und Geschäftsführer des Kreisdiakonieverbands im Landkreis Esslingen (KDV). Die kostenlose Beratung durch die Liga trage dazu bei, soziale Härten zu vermeiden.

Chyle nennt drei Schwerpunkte der Arbeit. Neben der Information über Rechte und Regelungen sind dies vor allem die Unterstützung bei Antragstellung und Ausfüllen der Formulare sowie die Vermittlung in Konfliktfällen wie auch die Hilfe bei der rechtlichen Durchsetzung von Ansprüchen. Gerade in diesem Bereich zeigen sich eindrücklich die Erfolge der unabhängigen Beratung: Immer mehr Konflikte könnten erfolgreich beigelegt werden, ohne dass Rechtsmittel eingelegt werden müssen. Inzwischen sind es 73 Prozent.

Doch insgesamt steigt die Zahl der Beratungen kontinuierlich. Sorgen bereitet den Verantwortlichen, dass immer mehr Kinder unter 14 Jahren beteiligt sind. „Sie gehören nicht ins Hartz-IV-System. Es braucht eine eigenständige Kindergrundsicherung“, fordert Chyle. Frieder Claus, der Armutsexperte und Koordinator der Hartz-IV-Beratung, kritisiert, dass Kinder in die Haftung für ihre Eltern mit hineingenommen würden. So werden das Kindergeld und auch der Verdienst aus Schüler- oder Studentenjobs auf den Hartz-IV-Satz angerechnet. Claus erzählt von einer jungen Frau, die von ihrem Großvater zum Abitur ein Geldgeschenk von 600 Euro als Starhilfe ins Studium bekam, das ihrer alleinerziehenden Mutter komplett vom Regelsatz abgezogen wurde.

Verlust der Wohnung droht

Auch wer ohne Genehmigung des Jobcenters umzieht, kann Probleme bekommen. Dann werden weder Kaution noch Umzugskosten übernommen. Zudem werden nur die Mietkosten der alten Wohnung bezahlt. Da droht schnell der Verlust der Wohnung, weiß Claus. Er kritisiert, dass Menschen in Hartz-IV Rechte verweigert würden, die anderen ganz selbstverständlich zustünden. Als Beispiele nennt er die Zwangsverrentung, die in die Altersarmut führen kann, eingeschränkte Freizügigkeit und die Pflicht, jeden Job annehmen zu müssen.

Die Unabhängige Hartz-IV-Beratung, das zeigt sich nach neun Jahren, ist ein Erfolgsmodell. Die Wartezeiten sind relativ kurz. „Das ist wichtig, weil mit vielen Fragen Fristen verbunden sind“, erklärt Reinhard Eberst vom KDV. „Wenn Menschen durch die Beratung ihre Hartz-IV-Bescheide verstehen, mindert dies auch das Gefühl der Ohnmacht“, erklärt er. Und dass so viele Konflikte einvernehmlich gelöst werden könnten, stärke den Glauben der Betroffenen an die Rechtsstaatlichkeit.

Corona hat den Beratern viele neue Klienten gebracht, darunter auch viele Solo-Selbständige, die vorher gut über die Runden kamen. Mit dem rasanten Anstieg der Energie- und Lebenshaltungskosten erwartet Brigitte Chyle einen weiteren Ansturm von Hilfesuchenden. „Soziale Maßnahmen müssen vor allem Menschen mit geringem Einkommen stärker entlasten“, fordert sie. pm