Zwischen Neckar und Alb
Hauptsache Dach überm Kopf?

Ukraine Wohnungen für Geflüchtete sind immer schwerer zu bekommen. Der Landkreis fürchtet, dass die Erstaufnahme in Sammelunterkünften zur Dauerlösung wird. Von Bernd Köble

Der Kreis Esslingen verzeichnet weiterhin bis zu 120 Menschen pro Woche aus den Kriegsgebieten in der Ukraine, die hier eine Zufluchtsstätte suchen. Von den derzeit geschätzt 3200 Geflüchteten leben 850 in Erstaufnahmeeinrichtungen, etwa die Hälfte davon im ehemaligen Impfzentrum in der Esslinger Zeppelinstraße. Weil die Versorgung aufwändig und die Plätze knapp sind, sollte niemand länger als vier Wochen in solchen Notunterkünften bleiben. Doch dieser ursprüngliche Plan gerät ins Wanken. Der Grund: Die Verteilung auf die Städte und Gemeinden wird immer schwieriger, weil Wohnraum fehlt. „Wir laufen Gefahr, dass sich die Notunterbringung verfestigt,“ warnt der Esslinger Landrat Heinz Eininger, der weiß, dass der Kreis seine Pflichtquote von 4,8 Prozent aus den Erstaufnahmezentren des Landes noch längst nicht erfüllt. Die Quote für den Kreis Esslingen ist vergleichsweise hoch, weil sie sich an der Bevölkerungszahl orientiert. Im Moment zieht es allerdings viele Geflüchtete, die Arbeit suchen, in ländliche Regionen, weil dort bei der Ernte unkompliziert Geld zu verdienen ist. Für den Kreis bedeutet das: sich rechtzeitig wappnen für das, was kommen könnte. Auf dem Hauber-Areal in Nürtingen und dem Roser-Areal in der Esslinger Pliensauvorstadt mietet die Verwaltung zurzeit Räume an, um mehr Menschen ein vorläufiges Dach über dem Kopf bieten zu können. Bei dauerhaften Bleiben in den Kommunen gilt für Eininger die Regel: „Wir nehmen, was wir kriegen können.“ Was man zur Stunde noch unbedingt vermeiden will, sind Bettenlager in Sporthallen, wie es sie bei der ersten Flüchtlingskrise vor sieben Jahren gegeben hat.

Die Lage bleibt derweil unberechenbar und ändert sich täglich. Das liegt auch am gesonderten Status, der den Menschen aus der Ukraine seit März zugestanden wird. Sich frei im Land bewegen zu dürfen, macht die Planung vor allem in Schulen und Kindergärten schwierig. Rund 40 Prozent derer, die vor dem Krieg im Osten geflüchtet sind, sind minderjährig. An den Kreisschulen nehmen zurzeit 90 Jugendliche in neun Vorbereitungsklassen am Unterricht teil. Nach den Sommerferien ist die Einrichtung von drei weiteren sogenannten VABO-Klassen geplant. Das Problem, das den Ausbau der Angebote ständig begleitet, sind eigentlich zwei: das eine sind fehlende Bedarfsprognosen, das andere heißt Lehrermangel.

Gleichzeitig fürchten auch immer mehr Kreispolitiker, dass die Stimmung irgendwann kippt, denn weiterhin kommen bis zu 60 Menschen jeden Monat aus anderen Krisenregionen der Welt hier an. Von ihnen leben zurzeit noch immer 1200 in Sammelunterkünften des Landkreises unter deutlich schärferen Regeln. „Spätestens wenn ukrainische Kinder in der Betreuung an anderen vorbeiziehen,“ prophezeit Plochingens Bürgermeister Frank Buß (Freie Wähler), „wird das zu einem Stimmungswandel führen.“

Eine Vorzugsbehandlung bereitet den Behörden schon jetzt Kopfzerbrechen: Ab 1. Juni erhalten Geflüchtete aus der Ukraine nicht mehr Unterstützung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, sondern Hartz IV oder Sozialhilfe über die Jobcenter. Darauf haben sich Bund und Länder im April geeinigt. Für die Sozialämter der Landkreise, wo die Anträge gestellt werden, bedeutet der Systemwechsel jede Menge zusätzliche Arbeit. Oder wie Landrat Heinz Eininger es beschreibt: „Wir gehen jetzt vollends in die Grätsche.“


Dolmetscher gesucht

Die Psychologischen Beratungsstellen im Landkreis Esslingen suchen dringend Dolmetscher für die Beratung und Begleitung geflüchteter Menschen bei der Bewältigung von traumatischen Ereignissen und in persönlichen Krisen. Dafür werden vor allem Sprachmittler in Ukrainisch und in arabischen Sprachen gesucht. Voraussetzung für einen Einsatz auf Honorarbasis sind ein sicherer Aufenthaltsstatus, gute mündliche Deutschkenntnisse, die Fähigkeit, sich von persönlichen Schicksalen Dritter abzugrenzen, und die Teilnahme an einer kostenfreien Schulung.
Interessierte lädt die Kreisverwaltung zu einer Informationsveranstaltung am Mittwoch, 1. Juni, von 17 bis 18.30 Uhr ins Esslinger Landratsamt ein. Die Veranstaltung findet in den Pulverwiesen 11 im Erweiterungsbau statt. Die Anmeldung dafür läuft bis zum 30. Mai über die Projektleiterin Regina Liebe-Tumbrink, E-Mail: Integration@LRA-ES.de. tb