Zwischen Neckar und Alb

Hochwacht wird zur Studierstube

Bauhistorie Die Stadt Esslingen und die Weiler-Stiftung wollen ein Stipendium für bauhistorische Forschung auflegen und dazu das Gebäude Hochwacht für Stipendiaten nutzen. Von Alexander Maier

Die Hochwacht in Esslingen soll künftig Stipendiaten beherbergen. Diese sollen sich der Bauhistorie widmen. Archiv-Foto: Roberto
Die Hochwacht in Esslingen soll künftig Stipendiaten beherbergen. Diese sollen sich der Bauhistorie widmen. Archiv-Foto: Roberto Bulgrin

Esslingen ist reich an bauhistorischen Schätzen, und jedes dieser Gebäude hat seinen eigenen Reiz. Zu den außergewöhnlichsten Bauwerken der Stadt gehört die Hochwacht. Als Teil der einstigen Stadtbefestigung wurde sie bereits 1380 urkundlich erwähnt – bis heute übt sie dank ihrer außergewöhnlichen Architektur auf viele eine ganz besondere Faszination aus. Jahrzehntelang hatte dort der im August 2015 verstorbene Künstler Heribert Glatzel sein Atelier, nun steht die Hochwacht leer. Nun hat die Stadt große Pläne, die gestern im Kulturausschuss des Gemeinderats vorgestellt wurden: Gemeinsam mit der Zukunftsstiftung Heinz Weiler soll ein Stipendium für bauhistorische Forschung ausgeschrieben werden, das den Namen der Hochwacht trägt. Das Gebäude selbst soll dem Stipendiaten in den Sommermonaten als Atelier dienen.

So reizvoll die Hochwacht auch ist, so eingeschränkt sind ihre Nutzungsmöglichkeiten. Veranstaltungen sind dort nur sehr eingeschränkt möglich, und dann auch bloß mit hohem brandschutztechnischem Aufwand. Deshalb galt es, eine sinnvolle Nutzung zu finden, die den räumlichen Gegebenheiten gerecht wird. Heinz Weiler, der die Esslinger Kultur seit vielen Jahren mit seiner Zukunftsstiftung großzügig fördert, entwickelte schließlich die Idee, die Räu­me weiterhin für die Kultur zu öffnen. Und er bot an, die Kosten für ein Stipendium zu übernehmen und die Hochwacht in der wärmeren Jahreszeit von Mai bis Oktober als Wohn- und Arbeitsort für den Stipendiaten zu nutzen.

Mit ihrem Bahnwärter-Stipendium fördert die Stadt bereits Literatur und bildende Kunst, und daran soll sich auch nichts ändern. Eine zusätzliche Nachwuchsförderung in diesen Sparten bot sich jedoch angesichts von mehr als 300 Künstlerstipendien und mehr als 400 Literaturstipendien und -preisen, die jedes Jahr bundesweit vergeben werden, nicht an. Deshalb wurde der Gedanke des deutschlandweit ersten Stipendiums für bauhistorische Forschung im regionalen Kontext geboren.

„Esslingen ist dafür ein idealer Standort“, findet Kulturamtsleiter Benedikt Stegmayer mit Blick auf die rund 1 200-jährige Geschichte der Stadt, mehr als 800 Baudenkmäler und einen reichhaltigen Bestand historischer Dokumente, die im Stadtarchiv aufbewahrt werden. Außerdem ist Esslingen Sitz des Landesdenkmalamtes und des Forums Stadt, das als Netzwerk historischer Städte den Gedanken der bauhistorischen Forschung fördert. „Deshalb bietet sich Esslingen für ein Stipendium zur bauhistorischen Forschung geradezu an“, findet Stegmayer. „Jungen Forscherinnen und Forschern eröffnet sich hier ein breites Spektrum zur wissenschaftlichen Arbeit und zum Wohnen an geschichtsträchtigem Ort.“

Der Kulturamtsleiter sieht viele mögliche Synergien, die ein Hochwacht-Stipendium bringen könnte: „Wir versprechen uns davon, dass die bauhistorische Forschung künftig noch intensiver betrieben wird und dass Esslingen stärker in den Fokus rückt.“ Die Stipendiaten könnten sich unterschiedlichsten Aspekten der Stadtgeschichte zuwenden: Bau- und stadtarchäologische, architektur-, garten- oder kunsthistorische Themen sind ebenso denkbar wie kirchliche, städtebauliche, konservatorische oder denkmaltheoretische Themen.

Die finanzielle Seite des Unterfangens war für den Kulturausschuss, der das Hochwacht-Stipendium unisono begrüßte, so überzeugend wie die inhaltliche: Die Stadt muss die Kosten für die Auswahl der Stipendiaten übernehmen und zudem für den Unterhalt der Hochwacht aufkommen. „Der Gebäudeunterhalt würde auch anfallen, wenn die Hochwacht leer steht“, gab Stegmayer im Kulturausschuss zu bedenken. Die Kosten für das Stipendium übernimmt die Weiler-Stiftung. Für die Dauer von sechs Monaten erhält der Stipendiat einen Unterhaltszuschuss von 1 500 Euro monatlich. Carmen Tittel (Grüne) brachte die Meinung der Ratsmitglieder hinterher auf den Punkt: „Dieses Stipendium passt wunderbar zur Stadt und zur Hochwacht.“

Informationen

Hochwacht: Die Hochwacht war ursprünglich ein Teil der ehemaligen Befestigungsanlage der Reichsstadt Esslingen. Dort hatte der sogenannte Hochwächter seinen Sitz, dem die Aufgabe zukam, die Esslinger Stadtbewohner vor Bränden und herannahenden Feinden zu warnen. Erstmals wurde die Hochwacht im Jahre 1380 urkundlich erwähnt. Sie ist über den Seilergang mit dem Dicken Turm verbunden, dem anderen prägenden Bauwerk im Ensemble der Burg. Jahrzehntelang wurde die Hochwacht als Künstleratelier genutzt. Seit August 2015 steht das Gebäude leer.

Zukunftsstiftung: Mit einem Kapital von mehr als einer Million Euro gehört die Zukunftsstiftung Heinz Weiler zu den größten Stiftungen in Esslingen. Sie wurde im Jahr 2001 von dem Unternehmer Heinz Weiler gegründet und hat seither zahlreiche innovative Kulturprojekte ermöglicht. Allein in diesem Jahr wurden 27 Projekte mit insgesamt 55 000 Euro gefördert. Vorsitzender des Stiftungsrates ist der Oberbürgermeister, als Kuratorin fungiert Angela Zieger.am