Zwischen Neckar und Alb

Hungernde streckten Mehl mit Moos

Ausstellung „Hungerbrot und Fruchtsäule“ zeigt im Freilichtmuseum, wie Menschen im 19. Jahrhundert mit der großen Hungerkrise umgingen. Von Thomas Krytzner

Annika Schröpfer und Daniel Hildwein zeigen Brot, das mit Sägespänen gestreckt wurde. Zu sehen ist dies im Haus Doster im Freili
Annika Schröpfer und Daniel Hildwein zeigen Brot, das mit Sägespänen gestreckt wurde. Zu sehen ist dies im Haus Doster im Freilichtmuseum im Rahmen einer Dauerausstellung.Foto: Thomas Krytzner

Der Termin passte perfekt, denn die Ausstellungseröffnung war ihr letzter Arbeitstag: Die Schöpfer der neuen Ausstellung, Annika Schröpfer und Daniel Hildwein, hatten sich während ihres Volontariats im Freilichtmuseum Beuren eingehend mit der Hungersnot im Jahr 1816 beschäftigt und das Thema in eine Dauerausstellung verpackt.

Dr. Jürgen Weisser, Leiter des Deutschen Landwirtschaftsmuseums in Hohenheim, vertiefte diese extreme Hungerkrise und ging darauf ein, dass es im Vorfeld beim 12 000 Kilometer entfernten Vulkan Tambora in Indonesien zu gewaltigen Eruptionen gekommen war. „Rund 150 Milliarden Tonnen Gestein und Asche wurden dabei ausgeworfen“, erzählte er.

Damals wusste man in Baden-Württemberg nichts von der Naturkatastrophe, aber die Folgen waren drastisch. „Niedrigere Temperaturen, Verkürzung der Vegetation und anhaltende Niederschläge führten zur Hungersnot im Ländle.“ Der Vulkanausbruch hatte weltweit Folgen: Die Kartoffelernte fiel praktisch aus, weil die Knollen nur noch schwammig waren. In Deutschland blieb durch die Asche in der Atmosphäre die Ernte aus und das Vieh hungerte.

Es bahnte sich eine menschliche Tragödie an, wie der Chef des Landwirtschaftsmuseums erzählte. „Die Notvorräte waren schnell verbraucht und die Lebensmittel wurden immer teurer. Dadurch konnten sich die Bürger bald nur noch Brot leisten.“ Die Folgen waren Mundraub und Diebstahl. Räuberbanden bildeten sich, während sich das Bürgertum immer weiter verschuldete und Besitz verkaufen musste. Da auch kaum noch genügend Getreide vorhanden war, streckten die Hungernden Mehl mit Sägespänen, Kartoffelschalen und Moos, um wenigstens ein wenig Brot als Nahrung zu haben.

Das gesamte soziale Netzwerk fiel zusammen, und der damalige König, Friedrich I. hatte kein Gespür für die Not im Land: „Es kümmerte ihn nicht.“ Obwohl die Bürger in einem Schreiben androhten, „je mehr Armut und Hunger, umso weniger Zucht und Ordnung“, saß der damalige Herrscher die Katastrophe aus. Erst nach seinem Tod war der Hunger auch Thema für die Obrigkeit. Das Königspaar Wilhelm I. und Zarentochter Katharina brachten die herbeigesehnte Linderung. Während Wilhelm I. sich für den Ausbau der Landwirtschaft stark machte, kümmerte sich Katharina um die Armen. In dieser Zeit gründeten sich Wohlfahrtsvereine.

„Die Hungerkrise war Anlass zur Förderung der Landwirtschaft. Der Hebel musste bei den Bauern angesetzt werden“, erzählte Weisser. Dazu hob der neue König die Leibeigenschaft auf und startete eine Bildungsoffensive. Im Jahr 1817 gründete sich der Landwirtschaftliche Verein, der seit der Gründung jedes Jahr ein großes Fest in Bad Cannstatt feiert. Der Museumschef erklärte weiter, dass der Monarch im Ausland Rinder und Merinoschafe einkaufen ließ. „Er wollte König der Landwirte sein.“

Ein Meilenstein gelang König Wilhelm I. mit der Gründung der ersten staatlichen Förderanstalt für Landwirtschaft. Der Pädagoge Johann Nepomuk von Schwerz wurde Leiter des Lehrbetriebs. „Daraus entstand 1819 die Hohenheimer Ackergerätefabrik.“ Bald kamen aus nah und fern Gesandte und Hoheiten nach Hohenheim. „Aber wie sollten im Jahr 1820 die Ackermaschinen in ferne Länder transportiert werden?“ Auch dafür hatten die Pioniere eine patente Lösung: „Die Erfinder bauten Modelle und diese konnten dann leicht nach Hause gebracht und dem Schlosser vorgelegt werden.“ Jürgen Weisser zeigte den staunenden Gästen ein Bild einer historischen Kartoffelerntemaschine - damals Siebkettenroder genannt - und wusste: „Die damalige Technik steckt heute in den modernen Geräten.“