Zwischen Neckar und Alb

Ins Leben zurückgekämpft

Porträt Drei Jahre lang war Manolito draußen – aus dem Job, aus der Wohnung, aus der Gesellschaft. Inzwischen hilft der Esslinger ehrenamtlich Obdachlosen, und er hat sich Ziele gesetzt. Von Miriam Steinrücken

Früher hat sich Manolito regelmäßig im Supermarkt mit Alkohol ­eingedeckt. Heute kommen nur noch Lebensmittel in den Einkaufswag
Früher hat sich Manolito regelmäßig im Supermarkt mit Alkohol ­eingedeckt. Heute kommen nur noch Lebensmittel in den Einkaufswagen.Foto: Miriam Steinrücken

Vor acht Jahren war Manolitos Welt noch in Ordnung. „Damals hatte ich alles, was man sich wünschen kann: eine Wohnung, ein Auto, eine Freundin“, sagt er. „Mir ging’s gut.“ Der Esslinger Manolito hat Straßen gepflastert, zwölf Jahre lang im Akkord. Das ging auf die Bandscheibe - so sehr, dass er den erlernten Beruf aufgeben musste. Mit seinen Ersparnissen machte er sich als Handwerker selbstständig und baute einen Nachtklub auf. „Doch ich habe auf die falschen Leute gehört“, erinnert er sich. Die hätten ihn nur ausgenutzt. Als er die Miete nicht mehr zahlen konnte, musste er seine Wohnung räumen. Damit ist er kein Einzelfall: Arbeitslosigkeit, Überschuldung und Scheidung stoßen viele in die Obdachlosigkeit.

Anfangs kam Manolito bei Freunden unter. Doch die haben ihn einer nach dem anderen fallen lassen. „Damals habe ich meine Freunde an einer Hand abzählen können“, sagt er. Auch der Kontakt zur Familie sei abgebrochen. Von da an habe er „Platte gemacht“ - soll heißen: draußen geschlafen. Eingewickelt in zwei Schlafsäcke suchte er im Winter Schutz unter Brücken, stieg in Tiefgaragen und Schrebergarten-Häuschen ein. „Dann hat mir morgens jeder Knochen wehgetan“, sagt Manolito.

Tagsüber lief er viel, um sich warm zu halten - immer hin und her zwischen Stuttgart und Ulm. Bekannte, die in Esslingen auf der Straße leben, fahren kurze Strecken in Bahn und Bus, um wieder aufzutauen. Vom Rewe sind sie in die Bahnhofswartehalle gezogen, weil dort der eisige Wind nicht bläst. Draußen übernachten zurzeit nur zwei Männer, in der Esslinger Bahnhofsunterführung, beim Bäcker daneben oder vor dem Juwelier gegenüber. „Aber das ist gefährlich“, warnt Manolito. Nicht bloß wegen der Kälte, sondern weil man ausgeraubt, verprügelt oder angezündet werden kann. Aber ab einer gewissen Promillegrenze ist einem das egal.

Manolito spricht aus Erfahrung. In seiner Zeit auf der Straße hat er täglich drei bis vier Flaschen Jack Daniel’s geleert. Marihuana, Kokain, LSD, Speed, Heroin: Alles hat er ausprobiert, außer Crystal Meth. „Damit ich von dem Scheiß um mich rum nichts mehr mitkriege“, erklärt er. „Körperlich und seelisch war ich damals ein Wrack.“

Als der absolute Tiefpunkt erreicht war, beschloss Manolito, sein Leben zu ändern. Von einem Freund erfuhr er von der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart. Die diakonische Einrichtung vermittelte ihm ein Zimmer in einer Sozial-WG in Weil, die sie gemeinsam mit der Stadt Esslingen betreut. Manolito schaffte allein einen kalten Entzug und ist jetzt seit zweieinhalb Jahren trocken und clean.

Heute hilft er ehrenamtlich Obdachlosen, die bei Eiseskälte die Nacht im Erfrierungsschutz der Evangelischen Gesellschaft verbringen wollen. Durchreisende sind darunter und Ex-Häftlinge, aber auch Männer, die jeden Morgen zur Arbeit gehen. „Manchen sieht man ihre Obdachlosigkeit nicht an“, erzählt er.

Manolito hat Ziele

Der Ex-Landstreicher wollte und hat es geschafft. Doch der jahrelange Alkohol- und Drogenmissbrauch haben Spuren hinterlassen: Vergangenes Jahr erlitt der 45-Jährige zwei Herzinfarkte. Und seine Zähne sind kaputt. Doch Manolito hat einen Plan: Zuerst das Gebiss richten lassen, danach steht die Umschulung zum Hausverwalter an. Beides ist bereits genehmigt. Die große Hoffnung richtet sich auf Job und Wohnung. „Ich gehe lieber einen Schritt vorwärts“, sagt Manolito, „als zwei zurück.“

Einen Weg aus der Obdachlosigkeit finden

Aus allen Schichten landen Leute auf der Straße, das ist Manolitos Erfahrung.

Eine Mitschuld gibt er der Politik. „Das Geld ist da“, glaubt er. „Aber ganz unten kommt davon nichts an.“ Der Staat solle den Wohnungsbau stärker fördern und Obdachlose mehr beim Entzug, der Wohnungs- und Jobsuche unterstützen.

Trotzdem müsse der Wille, etwas ändern zu wollen, bei jedem da sein, sonst passiere nicht. „Den Anfang müssen die Obdachlosen selbst machen“, weiß der Ex-Landstreicher. ms