Zwischen Neckar und Alb

Interview: "Von einer Entspannung kann nicht die Rede sein"

Die Flüchtlingszahlen sinken, die Herausforderung bleibt. Aus Provisorien müssen feste Unterkünfte werden. Der Landkreis schiebt noch immer einen Berg von Aufgaben vor sich her, meint der Esslinger Landrat Heinz Eininger.

Landrat Heinz Eininger

Landrat Heinz Eininger

Herr Eininger, seit Februar hat die Zahl der Flüchtlinge, die ins Land kommen, deutlich abgenommen. Hat sich damit auch die Lage im Landkreis entspannt?

EININGER: Von Entspannung kann keine Rede sein. Nach wie vor hat der Landkreis eine sehr hohe Aufnahmequote von derzeit 190 Flüchtlingen pro Woche. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass wir in diesem Jahr damit rechnen, insgesamt rund 10 000 Unterkunftsplätze zur Verfügung stellen zu müssen. Da gibt es noch viel zu tun. 760 Plätze in provisorischen Notunterkünften werden im Laufe des Jahres wegfallen. Insgesamt müssen wir in diesem Jahr rund 5 800 neue Plätze in Gemeinschaftsunterkünften schaffen. Rund 4 400 haben wir in Bau und Planung. Hinzu kommt, dass voraussichtlich 3 000 Flüchtlinge in der Anschlussunterbringung von den Städten und Gemeinden aufgenommen werden müssen. Wir sind gerade dabei, in Gesprächen mit den Städten und Gemeinden die vorläufige und die Anschlussunterbringung noch besser zu verzahnen. Nur in einem engen Miteinander kann es gelingen, diese immense Herausforderung im Landkreis Esslingen zu bewältigen. Gleichzeitig sehen wir, dass die Landeserstaufnahmestellen große freie Kapazität haben und trotzdem, oft ohne dass die Flüchtlinge einen Antrag gestellt haben, werden uns weitere Menschen zugewiesen. Dies ist nicht zielführend, weil es künstlich den Zuweisungsdruck hochhält und einen nicht notwendigen Aufwand verursacht, wenn Flüchtlinge, die zu uns kommen, nach wenigen Tagen wieder zu den Landeserstaufnahmestellen zur Antragsstellung zurückgebracht werden müssen.


Die Zahl 10 000 Plätze für 2016 ist eine Zielgröße aus dem Vorjahr. Müsste man dies nicht inzwischen korrigieren?

EININGER: Wir haben mit den Städten und Gemeinden vereinbart, diese Zielgröße bis auf weiteres beizubehalten. Zum einen liegen uns weder vom Bund noch vom Land verlässliche Angaben vor, mit welchen Flüchtlingszahlen wir in diesem Jahr zu rechnen haben. Zum anderen sehen wir, dass durch den hohen monatlichen Zuweisungsdruck diese Zielgröße auch gerechtfertigt ist.

 

Die Bereitschaft, Flüchtlinge aufzunehmen, ist in den Kommunen grundsätzlich vorhanden. Widerstand wächst vor allem gegen größere Unterkünfte mit 100 Menschen und mehr. Verstehen Sie diese Sorge?

EINIGER: Alle Städte und Gemeinden im Landkreis Esslingen haben inzwischen die Notwendigkeit erkannt, dass große Unterkünfte geschaffen werden müssen, um die dem Kreis zugewiesenen Glüchtlinge aufnehmen zu können. Ich habe Verständnis dafür, dass Menschen, die in unmittelbarer Nähe einer neu geplanten Unterkunft wohnen, dies kritisch betrachten und sich Sorgen machen. Daher ist es eine gemeinsame Aufgabe der Kommunen und des Landkreises, mit den künftigen nachbarn in einen offenen Dialog zu treten. Und das tun wir ja auch. Aber wir müssen auch klar sehen, dass in dem am dichtesten besiedelten Landkreis Baden-Württembergs die hohe Aufnahmeverpflichtung mehr und mehr zu Zielkonflikten angesichts der sehr begrenzt verfügbaren Flächen führt.

 

Stellen Sie fest, dass es schwieriger geworden ist, Menschen für ein freiwilliges Engagement in der Flüchtlingshilfe zu gewinnen?

EINIGER: Die Bereitschaft, sich ehrenamtlich in der Flüchtlingsarbeit einzubringen, ist nach wie vor sehr groß. Überall, wo neue Unterkünfte entstehen, bilden sich Arbeitskreise. Insgesamt haben wir derzeit über 50 Arbeitskreise mit rund 2 500 Ehrenamtlichen. Dieses Beispiellose gesellschaftliche Engagement zeigt, wie hilfsbereit unsere Gemeinschaft ist.

 

Reicht die derzeitige medizinische Versorgung in den Unterkünften aus?

EININGER: Die Einrichtung von großen Notunterkünften im vergangenen Jahr machte es erforderlilch, ergänzend zum System der niedergelassenen Ärzte, eine medizinische Versorgung aufzubauen. Wir setzen dabei auf das Deutsche Rote Kreuz und den Malteser Hilfsdienst. Das DRK versorgt mit seinem ehrenamtlichen Sanitätsdienst in Kooperation mit niedergelassenen Ärzten rund 700 Flüchtlinge in vier Unterkünften. Der Malteser Hilfsdienst fährt derzeit Unterkünfte mit seiner mobilen Arztpraxis an und versorgt damit 1600 Flüchtlinge. Mit diesem Konzept wird gewährleistet, dass die Arztpraxen entlastet werden unf für die einheimische Bevölkerung der gewohnte Standard bei der Versorgung beibehalten werden kann.