Münsingen. Fortschrittlich, aufgeklärt, aber natürlich auch am Geld, sprich an Steuern interessiert, war der Buttenhausener Ortsherr Philipp Friedrich von Liebenstein. Durch seinen 1787 verfassten Judenschutzbrief machte er das kleine Dorf zu einer „der wenigen jüdischen Landgemeinden im Süden Württembergs, in der sich zu Beginn 25 Familien ansiedelten“, so Stadtarchivar Yannik Krebs. Die bauten vor allem zunächst oberhalb der Lauter an, prägten im Laufe der Zeit wirtschaftlich und kulturell das Leben im Dorf, ebenso das Ortsbild mit architektonisch auffallenden Gebäuden wie zum Beispiel die Bernheimer’sche Realschule, heute Museum. Mit dem nationalsozialistischen Regime kam das Ende der jüdischen Gemeinde in Buttenhausen. Nur jeder zweite jüdische Bürger überlebte die Diktatur.
Die über 150 Jahre jüdisches Leben in Buttenhausen sind gut dokumentiert, Verknüpfungen in die Gegenwart ebenso: Halten doch bis heute Nachfahren der Buttenhausener Juden Kontakt auf die Alb. Also keine Frage, dass sich die Stadt mit zahlreichen Veranstaltungen am Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ beteiligt. In Kooperation mit dem evangelischen Bildungswerk Reutlingen hat Stadtarchivar Yannik Krebs ein Programm zusammengestellt, „welches jüdisches Leben und die jüdische Kultur erlebbar und erfahrbar machen soll“.
Die Veranstaltungen werden selbstverständlich die Vergangenheit nicht ausblenden, aber der Focus wird auf Gegenwart und Zukunft gelegt. Mit dem Blick auf Kultur und Bräuche will man „zum gegenseitigen Verständnis beitragen, helfen Vorurteile abzubauen“. Als Schwerpunkt der Reihe mit zwölf Veranstaltungen haben sich die Münsinger die Klezmer Musik ausgesucht, „die Lebensfreude, aber auch Schmerz ausdrücken kann“, so Krebs. Und die in ihrer Vielfalt Vergangenheit und Gegenwart verbindet.
Den Auftakt macht am 4. Juli Katalin Horvath und ihr Klezmer-Gypsy-Trio im Park der Bernheimer’schen Realschule Die Gruppe verbindet die Musik der osteuropäischen Juden und der Roma. „Jontef“ schon Jahrzehnte mit ihrer Klezmermusik auf den Bühnen unterwegs hat am 18. Juli einen Auftritt in der Michaelskirche in Buttenhausen. Sie spielen die Musik der „klejnen Mentschelach“ – der im Schtetel von einst, die der Menschen heute. „Anatevka im Lautertal“ nennt das Ensemble „Klezmerfantasien“ sein Programm, mit dem es am 5. September in der Münsinger Martinskirche gastiert: Musikalisch Leben im jüdischen-christlichen Buttenhausen ist ihr Thema. Jiddische Tangos, Lieder von der Emigration nach Amerika, Klezmermelodien und Tänze – das bietet das Duo „Tangoyim“ am 9. Oktober in der Münsinger Zehntscheuer.
An welche Regeln haben sich Juden im Alltag zu halten? „Gebete und Gebote im Judentum“ ist Titel von Martin P. Stoldts Vortrags am 5. September. Und „Jüdisches Leben heute“ was bedeutet das? Ein Vorstandsmitglied der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg wird das am 9. September beleuchten, Schwerpunkt die große jüdische Gemeinde in Stuttgart. Vortrag mit Musik ist am 18. November in der Zehntscheuer angesagt. Uwe von Seltmann und die Gruppe Oygnblik befassen sich mit dem Leben von Mordechai Gebirtig, dem Vater des jiddischen Liedes.
Wer nicht nur zuhören, sondern selbst aktiv werden will – der ist bei Tobias Christ richtig. Er veranstaltet am 19. September und am 17. Oktober einen Kalligraphie-Workshop an. Thema: „Gott sah in die Torah und schuf die Welt“. Die Teilnehmer begeben sich auf eine Reise in die Welt der hebräischen Buchstaben.
Und der geschichtliche Part: Am 27. Juni hält Eberhard Zacher seinen Vortrag „Die Juden von Buttenhausen“, am 11. Juli kann man ihn bei einem Rundgang durch den Ort begleiten. Martin P. Stoldt bietet am 17. Juli eine Führung durchs jüdische Museum an. Außerdem macht die Wanderausstellung „1700 Jahre Christen und Juden in ‚Deutschland‘ zwischen Vergegnung und Begegnung“ am 11. Juli Station in der Bernheimer’schen Realschule.
Übrigens: Auch die Verlegung der Stolpersteine vor ehemals jüdischen Häusern in Buttenhausen geht weiter. Die nächste Aktion des Künstlers und Initiators Gunter Demnig ist für den 21. Oktober geplant.
Infokasten: Am 11. Dezember 321 erlässt der römische Kaiser Konstantin ein Edikt (Gesetz). Es legt fest, dass Juden städtische Ämter in der Kurie, der Stadtverwaltung Kölns, bekleiden dürfen und sollen. Dieses Edikt belegt eindeutig, dass jüdische Gemeinden bereits seit der Spätantike wichtiger integrativer Bestandteil der europäischen Kultur sind.
Eine frühmittelalterliche Handschrift dieses Dokuments befindet sich heute im Vatikan und ist Zeugnis der mehr als 1700 Jahre alten jüdischen Geschichte in Deutschland und in Europa. Ulrike Bührer-Zöfel