Zwischen Neckar und Alb

Kreis lockt Rentner hinterm Steuer vor

Nahverkehr Senioren sollen ab 1. Januar 2020 ein Jahr lang kostenlos mit Bus und Bahn im VVS-Netz unterwegs sein können – vorausgesetzt sie sind bereit, dafür ihren Führerschein abzugeben. Von Bernd Köble

Mit einem Jahres-Abo fährt man am bequemsten - Wer seinen Führerschein zurückgibt, sogar ein Jahr lang kostenlos.Foto: Carsten R
Mit einem Jahres-Abo fährt man am bequemsten - Wer seinen Führerschein zurückgibt, sogar ein Jahr lang kostenlos.Foto: Carsten Riedl

Für viele ist es das letzte Stück Freiheit im Alltag. Mobil sein, auch wenn die Kräfte schwinden, verbinden viele Senioren vor allem mit einem: dem eigenen Auto. Weil der Gesetzgeber beim Führerschein nach oben keine Altersgrenze kennt, entscheidet jeder selbst, wann damit Schluss ist - häufig zu spät.

Im Kreis Esslingen versucht man nun, älteren Verkehrsteilnehmern den Umstieg auf Bus oder Bahn schmackhaft zu machen. Ab 1. Januar kommenden Jahres fährt jeder Rentner über 60, der bereit ist, seinen Führerschein zurückzugeben, ein Jahr lang umsonst im Streckennetz des Verkehrs- und Tarifverbunds Stuttgart (VVS). Das hat der Kreistag am Donnerstag beschlossen. Die Kosten für das Senioren-Jahresticket im Wert von 560,40 Euro teilen sich Landkreis und Verkehrsunternehmen im Startjahr hälftig. Danach schrumpft der Kostenanteil des Kreises auf ein Viertel.

Neu ist die Idee nicht. Im Nachbarkreis Ludwigsburg haben sich seit dem Start im Oktober 2015 rund 2 000 Senioren auf den Tauschhandel eingelassen. Das Modell gilt als Erfolg, auch wenn 80 Prozent der Antragsteller 75 Jahre und älter waren. Selbst in ländlichen Regionen, wo die Abhängigkeit vom Auto besonders stark ist, kommt das Angebot an. Etwa im Landkreis Biberach, wo bereits im ersten Quartal nach dem Start 2018 mehr als hundert Umsteiger registriert wurden.

Viele davon sind offenbar Überzeugungstäter, wie das Beispiel Ludwigsburg zeigt. Immerhin rund die Hälfte der Nutzer blieben dort auch nach Ende des Gratisjahres treue Abo-Kunden. Dabei richtet sich die Offerte nicht nur an Hochbetagte. Beantragen kann das Ticket jeder, der über 60 Jahre alt ist, seinen Wohnsitz im Landkreis hat und eine Rente oder Pension bezieht.

Zeitpunkt zu finden, ist schwierig

Tilman Walther ist Mitglied im Kreisseniorenrat und findet es gut, dass sich der Landkreis dem Angebot anschließt, auch wenn er selbst nicht vorhat, es zu nutzen - vorerst jedenfalls. Der 76-Jährige aus Kirchheim hat eine Tochter, die in der Schweiz lebt und die er regelmäßig besucht. Er fühlt sich fit und aktiv, setzt sich immer noch gerne hinters Steuer und hofft, dass das noch lange so bleibt. „Den richtigen Zeitpunkt zu finden, ist schwierig“, räumt er ein. „Die meisten verabschieden sich erst nach einem selbstverschuldeten Unfall vom Führerschein.“ Walther glaubt allerdings kaum, dass überzeugte Autofahrer damit zum Umstieg zu bewegen sind. „Wer noch jünger ist, wird dies aus Umweltgründen und aus Überzeugung tun“, sagt er. „Ältere wohl eher aus Einsicht, nachdem es bereits gekracht hat.“ Gerade Senioren, die mit körperlichen Einschränkungen zu kämpfen haben, gibt er zu bedenken, seien in besonderem Maß aufs Auto angewiesen. Deshalb hat aus seiner Sicht Freiwilligkeit über allem zu stehen.

Bei Nahverkehrsexperten und Verkehrsunternehmen hofft man nun, dass die Neukunden auch nach dem Gratisjahr dabeibleiben und sich das anfängliche Zuschussgeschäft dadurch auf lange Sicht rechnet. Der für den Nahverkehr zuständige Mann im Landratsamt hält die Ludwigsburger Zahlen auch für Esslingen realistisch. „Wir haben ähnliche Strukturen“, sagt Klaus Neckernuss. „Im Herbst 2021 werden wir das Ganze noch mal genauer betrachten und dann entscheiden, wie es weitergeht.“

Führerschein abgeben und einsteigen

Wer sich dafür entscheidet, seinen Führerschein gegen ein kostenloses Senioren-Jahresticket für das VVS-Netz einzutauschen, kann dies am einfachsten bei der Führerscheinstelle im Esslinger Landratsamt oder bei einer der drei Außenstellen in Kirchheim, Nürtingen oder Filderstadt erledigen. Führerschein abgeben, Verzichtserklärung unterschreiben, die Jahreskarte kommt dann anschließend vom Abo-Center der Bahn per Post direkt nach Hause.bk