Zwischen Neckar und Alb

„Lieber treiben, als Getriebener sein“

Bahn-Chef Grube ist vor der Zukunft nicht bang – Im Konflikt mit der GDL will der Spitzenmanager für Vernunft sorgen

Bahn-Chef Rüdiger Grube beim Esslinger Podium.Foto: Roberto Bulgrin
Bahn-Chef Rüdiger Grube beim Esslinger Podium.Foto: Roberto Bulgrin

Esslingen. Der Mann ist Profi durch und durch: Die Veranstaltung „Im Gespräch“ ist fast vorüber, da springt Bahn-Vorstandschef Rüdiger Grube auf. Er flitzt übers Podium, zückt

eine Visitenkarte und überreicht sie einem unzufriedenen Bahnkunden. Der soll sich alsbald melden, damit Grube das Problem persönlich ausräumen kann. In der Fragerunde hat der Mann nicht eben positive Erfahrungen geschildert: Als Fernpendler hat er bei der Bahn einen Umsatz von immerhin 12 000 Euro im Jahr; er reist jedes Wochenende zwischen seiner Familie in Lübeck und seinem Arbeitsplatz in Sindelfingen.

Als an einem Sonntagabend bei der Rückfahrt Richtung Süden der planmäßige Schlafwagen nicht zur Verfügung steht, wendet sich der Mann an einem der nächsten Tage an den Service der Bahn und äußert seinen Unmut. Doch nach längerem Geplänkel am Telefon signalisiert ihm eine Mitarbeiterin, dass er ja nicht unbedingt mit dem Zug fahren müsse – und legt auf.

So etwas darf bei dem Großunternehmen nicht vorkommen: Guter Service und Zufriedenheit der Kunden stehen für Grube im Vordergrund. Das betont er an diesem Abend im Esslinger Neckar-Forum an vielen Stellen. Den Kümmerer gibt der Bahn-Chef nicht nur bei diesem unzufriedenen Fahrgast. Er berichtet, dass er fünf bis acht der in normalen Zeiten an ihn gerichteten 1 000 E-Mails pro Tag persönlich beantwortet – manchmal greift er auch selbst zum Telefonhörer. Was die Angerufenen am anderen Ende der Leitung dann oft nicht glauben können.

Grube zieht die Zuhörer in der voll besetzten Halle in seinen Bann: Daten- und zahlenfest präsentiert er sein Unternehmen und dessen Zukunftspläne.

In beschleunigtem hanseatischen Plauderton kurvt Grube binnen anderthalb Stunden durch so ziemlich alle bahnrelevanten Themen. Er kommentiert den aktuellen Streik ebenso wie Stuttgart 21 und schlägt den Bogen weit hinein in die digitale Zukunft des Unternehmens.

7,5 Millionen Menschen transportiert die Bahn – an einem Tag. Das schafft die Lufthansa in einem Jahr. Da hat die Bahn laut Grube schon in etwa so viele Menschen transportiert, wie Indien und China zusammen Einwohner haben. Damit steht die Bahn an der Spitze in Europa und in teilweise weitem Abstand vor den Bahnen in Frankreich oder Italien.

Doch momentan ist der Streik das beherrschende Thema, und viele Räder stehen still. Hier sind für den Bahn-Chef die Fronten klar: Als den Verantwortlichen sieht er „diese Person, deren Namen ich nicht in den Mund nehme“. Gemeint ist Claus Weselsky, dessen kleine GDL, die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer mit ihren 20 000 Mitgliedern, die Bahn samt ihren Kunden derzeit kräftig piesackt. Mit der zehn Mal größeren Gewerkschaft EVG wäre die Bahn schnell einig. Ein Tag Streik kostet das Unternehmen zehn Millionen Euro, rechnet Grube vor. An diesem Wochenende, wenn der Streik vorerst ausgesetzt werden soll, sind es zusammen schon 300 Millionen. Die hätte Grube eigentlich gerne „für die Mitarbeiter“ ausgegeben. Doch gegen die Hartleibigkeit des GDL-Chefs kommt der Konzern nur schwer an. Verhandlungen verlaufen regelmäßig im Sand. „Meine Aufgabe ist, für Ruhe zu sorgen, wenn alle durchdrehen“, kündigt Grube auf die Frage nach einem „Plan B“ an. Wie die neue Strategie aussehen soll, will Grube zumindest an diesem Abend nicht verraten. Nur so viel: Er will vermeiden, dass „Vernunft, Augenmaß und Sozialpartnerschaft beschädigt werden“.

Die Bahn und die Pünktlichkeit – das ist ebenfalls ein konfliktbeladenes Thema. Grube führt mit einer Pünktlichkeitsquote von 94,5 Prozent ins Feld – und gesteht umgehend zu: „Wir müssen pünktlicher werden.“ Vor allem im Fernverkehr schaukelten sich die Verspätungen von wenigstens sechs Minuten auf, räumt der Bahn-Chef ein.

Stuttgart 21 ist für den Bahn-Chef als Thema weithin durch. 2021, so ist sich Grube sicher, wird die Verbindung stehen. Die Bedingungen im Stuttgarter Untergrund seien für den Tunnelbau besser als angenommen, 1,7 Milliarden seien noch „als Puffer drin“. Auch die Schnellbahntrasse nach Ulm bleibe bisher zehn Prozent unter dem Kostenrahmen. „Wir kriegen es hin, das verspreche ich Ihnen.“

Spannend werden die Zukunftspläne des Unternehmens: Autonomes Fahren, wie es bei Pkw und Lkw allmählich in Gang kommt? Soll zusammen mit den Mitarbeitern erarbeitet werden, technisch sei schon jetzt „alles möglich“. „Wir sind ein Mobilitätsunternehmen“, bilanziert Grube. Die Bahn biete alles an. Vom ICE bis zum Fahrrad am Bahnhof und zum Fernbus. Wobei der oberste Bahn-Manager hier Waffengleichheit mit anderen Fernbusunternehmen bei der Maut und bei Umweltabgaben fordert. Was die fortschreitende Digitalisierung angeht, ist Grube nicht bang. Die Bahn müsse eine eigene Mobilitätsplattform machen, „bevor es Google macht“. „Lieber treiben, als Getriebener sein“, ist Grubes Maxime. Zwischen der Bahn und ihren Kunden dürfe es keine andere Plattform geben. „Sonst sind wir nur noch Lohnkutscher.“