Emil Zátopek rennt. Der tschechische Läufer rennt bei den Olympischen Spielen 1952 in Helsinki von Sieg zu Sieg, gewinnt dreimal Gold, auch im Marathon-Lauf. Wilfried von Tresckow schraubt. 1952, im erfolgreichsten Jahr Zátopeks, fängt er als Achtjähriger an. Zuerst mit Metallbaukästen von Trix. Die waren damals günstiger als die von Märklin, sagt von Tresckow. Unlackiertes, blankes Metall, durch den Schweiß seiner Hände wurden sie schnell rostig, erinnert er sich.
Mehr war damals nicht drin, mit seiner Familie hatte es ihn nach dem Krieg nach Neumünster verschlagen, hoch im Norden zwischen Hamburg und Kiel. „Wir hatten alles verloren.“ Ein bisschen neidisch sei er auf die Märklin-Baukästen seiner Freunde gewesen, das Metall war lackiert, schon damals in diesem typischen Märklin-Baukasten-Grün.
Von Tresckow bleibt beim Trix-Metall, „das war nur am Anfang in der Packung blank“, aber eben günstig. Die kleinste Schachtel kostet 1,25 Mark, das Geld dafür verdient sich der begeisterte Jung-Baumeister Wilfried auf den Trümmergrundstücken der Stadt, „Neumünster war kaputtgeworfen“. Er zieht Moniereisen aus dem Schutt, sammelt Schrott und verkauft alles beim Schrotthändler. Verdienst und Taschengeld landen beim Spielzeughändler. Später verdient er sein Geld als Kegeljunge auf der Kegelbahn und stellt für die Erwachsenen die Kegel auf.
Die „größeren Dinge“, also große Metallbau-Kästen, gibt es jahrelang „zu jedem Geburtstag“ und natürlich zu Weihnachten. Nebenher lässt er seine Modellbahn rollen, die ist schon damals von Märklin. Aber: „Die Loks waren zu schnell, und die Anfahrgeschwindigkeit stimmte nicht“, sagt von Tresckow, er mag es schon als Kind ganz genau. Er geht zum Uhrenhändler, besorgt sich passende Räder und baut die Loks um. Und steigt in den Handel ein, „die umgebauten Loks habe ich an Freunde und Mitschüler verkauft“.
Damit ist auch mehr Geld für den Metallbau da, von Tresckow wird größer, seine Modelle auch, irgendwann ist nach wochenlangem Bauen der große Portalkran fertig, ein jahrelang gehegter Traum. Fertig ist von Tresckow kurz darauf mit der Schule, nach dem Abi geht es raus in die Welt, die Metall-Teile bleiben zu Hause, der Portalkran auf dem Schrank in seinem Kinderzimmer. Aber nicht lange.
Im Herbst 1963 besucht er seine Eltern, oben auf dem Schrank steht: nichts. „Wo ist mein Portalkran?“, die Antwort seiner Mutter ist niederschmetternd: „Verschenkt“. „Und der Rest?“ „Auch.“ Das ist jetzt fast 60 Jahre her, von Tresckow erinnert sich an jedes Detail. „Damals wusste ich, irgendwann fang ich wieder an.“Erstmal macht er aber ohne Metallbau weiter. Lehre bei Mauser in Oberndorf, Betriebswirtschaftsstudium, danach heuert von Tresckow in Stuttgart bei Kodak an, für die Firma geht er nach London, seine Frau hält die Stellung im Schwabenland. Zwei Jahre geht das gut, dann ist Nachwuchs unterwegs und von Tresckow wieder in Stuttgart. Statt großer, weiter Welt landet er in der Personalabteilung und muss den immer weiter schrumpfenden Super-8-Filmbereich umkrempeln, ohne Entlassungen geht das nicht. Von Tresckow ist unglücklich, auch heute noch erinnert er sich nur mit Magengrimmen an die Zeit: „Ich war kurz vorm Durchdrehen.“
Wie geht es weiter? Das hat er sich damals gefragt und die Antwort selbst gefunden: mit Metallbau. Von Tresckow schraubt wieder, nach Feierabend, meist im Keller. Vor den Regalen der Spielzeughändler, auf Spielzeugbörsen und später im Internet ist er unterwegs, hat erst „fanatisch gesammelt und gekauft, dann bin ich zum Sammler und Erbauer geworden“. Das Metall in seinen Händen ist jetzt grün, von Tresckow setzt auf Märklin und baut, meist im heimischen Keller in Ostfildern. Und trifft auf Gleichgesinnte, gründet den Freundeskreis Metallbaukasten, den es heute noch gibt.
1999 wird zum Horrorjahr
Er wird zum gefragten Experten und macht auch bei der Einrichtung der Metallbaukasten-Abteilung im Märklineum mit: Das in der Ausstellung gezeigte Riesenrad hat Wilfried von Tresckow gebaut, aus 5283 Teilen. Die per Bildschirm präsentierten Modellbaukästen aus allen Jahrzehnten kennt er samt Inhalt auswendig. Sogar die unterschiedlichen Farben der Papp-Fächer in den Kartons samt Erscheinungsjahr zählt er beiläufig auf. „Es ist wie bei Briefmarken-Sammlern“, sagt er dazu.
Für ihn und die Metallbau-Gemeinde ist 1999 das „Annus horribilis“: Märklin stellt das Metallbaukasten-Programm ein. Immerhin geht es später mit den „Großbaukästen“ weiter, der bisher letzte war 2014 ein Turmdrehkran. Kurz nach dem Metallbaukasten-Programm stirbt auch Dauerläufer Zátopek, im November 2000. Wilfried von Tresckow macht weiter, baut und schreibt regelmäßig für ein englischsprachiges Fachmagazin. Sein neuester Coup im Alter von mittlerweile 77 Jahren: Das Modell eines Mercedes SSK aus den späten 1920iger Jahren, rund einen Meter lang.
90 Jahre Metallbaukasten-Geschichte
Ursprünge: Der Metallbaukasten ist bei Märklin fast 90 Jahre alte geworden. Los ging es 1911, als die Göppinger Vertreibspartner von Meccano aus England wurden. die zählten damals wohl zu den führenden Herstellern von Metallbaukästen. Erfunden hat sie der Engländer Frank Hornby, der Metallstreifen mit Löchern im stets geleichen Abstand von einem halben Zoll (entspricht etwa 1,54 Zentimetern) entwarf. Mit den Strefen unterschiedlicher Länge konnten mit Messingschrauben und Muttern stabile Modelle hergestellt werden. Möglich war so gut wie alles von Gebäuden über Schffe und Brücken bis zu Drehkränen.
Übernahme: Die Firma Märklin stellt bald ihre Uhrwerkmotoren auch für die Meccano-Kästen her und übernimmt die Metallbaukästen 1917 ins eigene Sortiment. Damit ist sie Metallbaukasten-Hersteller. Ende der 1920er Jahre wird es in den Kästen farbig. Seitdem ist das Metallbaukasten-Grün die beherrschende Farbe der Göppinger Metall-Lochstreifen.
Ende: Die Kästen überdauern den Krieg und schreiben ihre Erfolgsgeschichte fort. Ab 1975 heißt die Unternehmenssparte „Märklin Metall“. Immer wieder gibt es neben Standard-Kästen auch Packungen für speziele Modelle. Die Konkurrenz nimmt zu, Lego aus Dänemark und Fischer-Technik aus dem Schwarzwald werden bei den jungen Konstrukteuren immer beliebter. Noch vor der Jahrtausendwende ist in Göppingen aber Schluss: Im Jahr 1999 fällt der Vorhang für das Metallbaukasten-Programm. pit