Zwischen Neckar und Alb

Mediziner fordern weniger Bürokratie

Krankenkasse Hausärzte in der Region stoßen oft an ihre Grenzen. Bei einem Meinungsaustausch mit der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg übten sie deshalb heftige Kritik. Von Elisabeth Maier

Foto: Symbolbild

Die viele Bürokratie raubt der Hausärztin Gabriele Fitzner „die Freude an der Arbeit“. Im Gespräch mit Andreas Maier, Fachberater der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW), machte die Allgemeinmedizinerin ihrem Ärger über ihren Berufsalltag Luft. Außerdem beklagten die Wendlinger Mediziner, dass vor allem die Hausärzte an Grenzen stoßen. „Es brennt“, brachte Marco Wenzel die Lage auf den Punkt. Weil es im Raum Kirchheim vergleichsweise viele Alten- und Pflegeheime gebe, seien vor allem die Hausärzte überlastet.

Wenig junge Ärzte verfügbar

Die ambulante Versorgung schwerstkranker Senioren sei eine erhebliche Zusatzbelastung. Wenzel plädierte, deshalb vom starren Schlüssel bei den Zulassungen abzurücken. Auf 1 671 Patienten kommt nach den Worten Maiers ein Hausarzt. „Die Stadt Wendlingen ist zurzeit gut versorgt“, schilderte Bürgermeister Steffen Weigel, der zu dem Austausch eingeladen hatte. Ihm sei es jedoch ein Anliegen, rechtzeitig an die Nachfolge für ältere Ärzte zu denken. Gute Mediziner auch in kleinere Städte zu holen, sei nicht leicht. Das würde die Kommune gerne steuern und zum Beispiel ein Ärztehaus planen. „Aber wegen des langen Vorlaufs kommt das nur für bereits zugelassene Ärzte infrage.“ Der Verwaltungschef von der KVBW forderte mehr Flexibilität. Auch neue Konzepte, wie ein medizinisches Versorgungszentrum, lassen sich wegen möglicher Regressansprüche nicht stemmen.

Nach einem Überblick über die ärztliche Versorgung im Raum Wendlingen informierte Andreas Maier über neue Projekte. Als sehr erfolgreich angelaufen nannte er das Projekt „Docdirekt“, das in Stuttgart und Tuttlingen erprobt wurde. Dort haben Patienten die Möglichkeit, sich online mit Medizinern zu verbinden. Bei einer Grippe oder bei leichteren Erkrankungen sieht Maier das durchaus als Chance.

Da widersprach ihm der Gynäkologe Markus Simpfendörfer heftig. „Ich kann keine Diagnose stellen, ohne den Patienten gesehen zu haben.“ Die Hausärztin Gabriele Fitzner verwies auf die Telefonsprechstunden, die sie und ihre Kollegen anbieten. Allerdings ersetze das in den meisten Fällen keinen Arztbesuch.

Privatpraxen schwer zu stemmen

Dass Wendlingen optimal mit Ärzten versorgt sei, verneinte Juliane von Massenbach. Die Allgemeinmedizinerin hat viele ältere Patienten, die Herzprobleme haben. „Wir müssen sie an die Kardiologen in Kirchheim verweisen. Aber viele haben keine Angehörigen, die sie dort hinbringen könnten.“ Die CDU-Stadträtin appellierte an die Stadt und an die KVBW, die Verteilung der Fachärzte wirkungsvoller zu steuern.

In dem sehr angeregten und offenen Austausch war die zunehmend angespannte Arbeitssituation der Mediziner ein großes Thema. Markus Simpfendörfer berichtete vom wachsenden Gesundheitsbewusstsein, das er als Frauenarzt beobachte: „Viele wollen jedes halbe Jahr zur Untersuchung kommen, um sich sicher zu fühlen.“ Man habe erst frei, wenn das Wartezimmer leer ist.

Die langen Arbeitstage seien für junge Medizinerinnen und Mediziner kaum noch attraktiv - zumal dann, wenn sie bereits Familie hätten. Da werde es für Einzelpraxen schwer. Zumal eine Praxis für eine Einzelperson auch wirtschaftlich ein großer Kraftakt sei.

Hausbesuche spät abends

Simpfendörfer sieht Versorgungszentren als Perspektive. „Um die Medizin zukunftsfähig zu machen, ist es gerade die Politik, die umdenken und die Ärzte entlasten muss.“ Wegen der vielen Bürokratie habe er sich „oft wie ein freier Mitarbeiter der Allgemeinen Ortskrankenkasse gefühlt“. Der Hausarzt Jan Fitzner hat 32 Jahre lang praktiziert. Oft habe er um 21 oder 22 Uhr noch zu einem Hausbesuch aufbrechen müssen, um schwerkranke Patienten zu versorgen.

„Es geht nicht, dass sich Ärztinnen und Ärzte rechtfertigen müssen, wenn sie für sich ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit einfordern.“ Das sei doch schließlich ein zutiefst menschliches Bedürfnis, das jeder besitze.