Zwischen Neckar und Alb

Mehrheit sieht Nullrunde kritisch

Nahverkehr Vor der Abstimmung im Dezember im Kreistag sind die Gegner von Fahrpreiserhöhungen im VVS in der Minderheit. CDU und Freien Wählern geht Finanzierungsangebot des Landes nicht weit genug. Von Bernd Köble

Ob die Tickets für Bus und Bahn im neuen Jahr wieder teurer werden, müssen in den nächsten Wochen die politischen Gremien in den
Ob die Tickets für Bus und Bahn im neuen Jahr wieder teurer werden, müssen in den nächsten Wochen die politischen Gremien in den Partner-Landkreisen im Tarifverbund entscheiden. Foto: Carsten Riedl

Wer bei Bus und Bahn bisher nur an Verspätungen und Ausfälle dachte, der hat in dieser Woche etwas gelernt: Es gibt auch gute Nachrichten vom öffentlichen Nahverkehr. Die Zahl der Fahrgäste im Bereich des Verkehrs- und Tarifverbunds Stuttgart (VVS) ist auch im dritten Quartal gestiegen. 5,2 Prozent mehr Kunden binnen eines halben Jahres, und alle sind sich einig: Grund ist die Tarifreform, die zum 1. April den Reisenden übersichtlichere Strukturen und weniger Fahrtkosten bescherte.

Trotzdem bleibt unterm Strich ein deutliches Minus. Die Deckungslücke von knapp zehn Millionen Euro müssen sich das Land, die Stadt Stuttgart und die Verbundlandkreise teilen. Das Land will bis 2025 ein Drittel der Kosten übernehmen. Den Rest teilen sich die Landeshauptstadt und die beteiligten Landkreise im Verhältnis 55 zu 45 Prozent.

Der Esslinger Landrat Heinz Eininger und seine Kollegen aus den Kreisen Böblingen, Ludwigsburg und Rems-Murr haben zuletzt vor allem die befristete Zusage des Landes stark kritisiert. Angesichts horrender Kosten, etwa für den Ausbau des Schienennetzes im Nahverkehr fürchten die Landräte in den kommenden Jahren eine Kostenexplosion und verweigern sich bisher einer weiteren Nullrunde im Tarifstreit.

Das Gros der Stuttgarter Stadträte dagegen sprach sich am Mittwoch im Verwaltungsausschuss klar dafür aus. Inzwischen hat das Land nachgebessert und will mit einer Finanzierungszusage über das Jahr 2025 hinaus den Landräten den Deal schmackhaft machen.

CDU im Widerspruch

Kreispolitikern von CDU und Freien Wählern geht das nicht weit genug. Sieghart Friz, Fraktionschef der CDU im Kreistag sprach am Mittwoch zwar von einem „positiven Signal“ aus dem Verkehrsministerium, das ankündigte, ab 2025 ein Viertel der Mehrkosen zu tragen. „Ob das reicht, ist fraglich“, sagt Friz. Er geht davon aus, dass es in der CDU-Fraktionssitzung am 4. Dezember zu einer klaren Mehrheit für eine Erhöhung kommt. Damit stünde die Kreistagsfraktion im krassen Widerspruch zur Haltung der CDU im Stuttgarter Gemeinderat. Dort wollte die Union als einzige Fraktion die Fahrpreise gleich bis Ende 2021 einfrieren, was selbst OB Fritz Kuhn (Grüne) als „voreilig“ erschien. „Eine Nullrunde mag für den Bürger auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen“, meint Sieghart Friz. „Wir müssen aber die dauerhafte Belastung in den nächsten Jahren sehen.“ Er räumt jedoch ein: „Sollte sich das Land weiter bewegen, müssen wir noch einmal reden.“

Für die Freien Wähler, stärkste Fraktion im Esslinger Kreistag, führt an einer Preiserhöhung anscheinend kein Weg vorbei. Fraktionschef Bernhard Richter ging in seiner Haushaltsrede vor zwei Wochen scharf mit dem grünen Verkehrsminister Winfried Hermann ins Gericht. Geschenke zulasten anderer zu machen, sagte Richter, sei keine seriöse Politik. Damit zeichnet sich zumindest im Kreis Esslingen eine breite Mehrheit für eine Erhöhung ab, zumal auch AfD und FDP sich klar dafür aussprechen. Statt nur billiger zu werden, müsse mehr in Qualität investiert werden“, fordert Heiko Kißhauer (AfD).

Grüne, SPD und Linke führen einen einsamen Kampf für die Nullrunde. Für Grünen-Fraktionschefin Marianne Erdrich-Sommer wäre keine zwölf Monate nach der Tarifreform im VVS eine Fahrpreiserhöhung nur schwer zu vermitteln, zumal Kunden im Bus- und Bahnverkehr weiterhin mit Zugausfällen und Verspätungen leben müssten. Erdrich-Sommer: „Schlechtleistung darf nicht auch noch teurer werden.“ Den positiven Effekt der Tarifreform hält auch der neue Vorsitzende der SPD im Kreistag, Michael Medla, durch eine Preiserhöhung gefährdet. Medla geht sogar einen Schritt weiter und fordert die Kreisverwaltung auf, mit den Partnerlandkreisen über die Einführung eines 365-Euro-Tickets im gesamten VVS-Gebiet zu verhandeln, so wie es die Stadt Stuttgart anstrebt.

Die Fraktionen in allen vier Landkreisen müssen nun vor Weihnachten ihr Urteil fällen. In Esslingen tagt der Kreistag am 10. Dezember zum letzten Mal in diesem Jahr. Bereits davor müssen sich die Fraktionen intern einigen, denn die Mitglieder des VVS-Aufsichtsrats treffen sich schon am 3. Dezember zu ihrer Sitzung, in der eine Entscheidung fallen soll.

Ein fairer Kompromiss

Am 18. Februar hatte das Unternehmen einen Insolvenzantrag gestellt. Symbolbild
Am 18. Februar hatte das Unternehmen einen Insolvenzantrag gestellt. Symbolbild

Region. Ja, es stimmt, dass der Landkreis in den kommenden drei Jahren eine Stange Geld ausgeben wird, um sich am Ausbau des Schienennetzes zu beteiligen. Ja, es ist wahr, dass sich die Attraktivität des Nahverkehrs nicht nur an niedrigen Fahrpreisen misst, sondern auch an der Qualität des Angebots, und ja, ganz sicher gilt, dass man Geld nur einmal ausgeben kann. Trotzdem kann man sich im Streit zwischen dem grünen Verkehrsminister im Land und den Landkreisen um eine zweite Nullrunde im VVS des Eindrucks nicht erwehren, hier hätten manche Kommunalpolitiker nicht verstanden, worum es eigentlich geht.

Gerade hat die Landesbank dem potenten Südwesten eine graue Zukunft prophezeit. Der Strukturwandel in der Autoindustrie ist ein wesentlicher Grund dafür. Im Land fehlt es an Fachkräften, für die der Standort im Wettstreit der Regionen an Attraktivität verliert. Als Arbeitsstätte, aber auch als Wohnadresse mit Lebensqualität. Hohe Mieten, verstopfte Straßen, Lärm und dreckige Luft sind keine Aushängeschilder. Experten sind sich längst einig, dass nicht allein E-Mobilität die Lösung für einen Großteil der Probleme ist, sondern ein funktionierendes System aus Bus und Bahn. Klar ist auch, dass der Preis dafür in jeder Hinsicht viel zu hoch ist. Das gilt fürs Ticket, aber auch für Investitionen, die ohne irrwitzige Planungsverfahren kaum mehr denkbar sind. Mehr als 200 Millionen Euro für weniger als fünf Kilometer S-Bahn-Verlängerung auf den Fildern seien den Menschen nicht mehr zu erklären, stellte CDU-Fraktionschef Sieghart Friz vor zwei Wochen im Kreistag fest. Wer wollte dem Mann widersprechen?

Die VVS-Tarifreform war im April ein wichtiger Schritt. Fünf Prozent mehr Fahrgäste sind ein Erfolg. Jetzt kann es nur heißen: weiter so. Auch, wenn der ÖPNV ein Zuschussgeschäft bleiben wird, an ihm führt wirtschaftlich wie ökologisch kein Weg vorbei. Wer wie der Kreis in den kommenden fünf Jahren eine Viertelmilliarde Euro in Bauprojekte stecken will, sollte sich überlegen, ob 980 000 Euro für stabile Fahrpreise im Nahverkehr keine Investition sein könnte, die sich langfristig rechnet.

Das Land hat sich auf die Tarifpartner zubewegt. Die Zusage, sich mit einem Viertel der Kosten über das Jahr 2025 hinaus an den Zuschüssen zu beteiligen, ist ein fairer Kompromissvorschlag. Kommunalpolitiker im konservativen Lager zweifeln die Verlässlichkeit solcher Versprechen an. Doch für parteipolitisches Gezänk ist das Thema zu wichtig. Für Verlässlichkeit und klare Linien gibt es schließlich Verträge. Die sollte man nun schleunigst unterzeichnen.