Zwischen Neckar und Alb

Menschen siedelten an den Hülen

Serie Von wegen „Schwäbisch Sibirien“! Die Alb ist Geopark, Biosphärengebiet und außerdem spannendes Entdeckerland mit jahrmillionenalter Geschichte (6). Von Michael Hägele

Die Zaininger Hüle zeigt sich heute als charmanter Seerosenteich.Archiv-Foto: Dieter Ruoff
Die Zaininger Hüle zeigt sich heute als charmanter Seerosenteich. Archiv-Foto: Dieter Ruoff

Frisches, sauberes Leitungswasser ist heute auch auf der Schwäbischen Alb eine Selbstverständlichkeit. Das war jedoch nicht immer so. Die Menschen litten lange unter Wassernot. Trotz relativ hoher Niederschläge ist die Alb ein Wassermangelgebiet. Die Ursache liegt am stark verkarsteten Kalkgestein, das das Regenwasser sofort versickern lässt. Außer an wenigen Flussläufen im tief liegenden Grundwasserniveau der Albhochfläche kommen Oberflächengewässer nur selten vor, beispielsweise im Bereich kleinerer Gebiete mit vulkanischem Gestein. Weil hier das Wasser nicht versickert, bildeten sich Sümpfe, Quellen und Teiche, sogenannte Hülen. Sie sind Ausgangsorte erster Besiedlung.

Bis vor etwa 150 Jahren erfolgte die Wasserversorgung in den meis­ten Albdörfern noch aus teils stark verunreinigten Hülen, Zis­ternen, sogenannten „Dachbrunnen“, und einigen wenigen Brunnen. Der Zeitzeuge Oscar Fraas ­äußerte sich 1873 folgendermaßen über die Qualität des Zisternenwassers: „Wehe dem Fremden, den in einem der primitiven Albdörfer, wo die Strohdächer überwiegen und man rein auf Regenwasser angewiesen ist, ein Bedürfnis anwandelt nach einem Glase frischen Wasser oder der des Morgens die gewohnte Waschung vornehmen will! Strohgelb bis Kaffeebraun hat sich das Wasser gefärbt, das von den Strohdächern niederrinnt, nur wer von Jugend auf an den Anblick dieses Wassers sich gewöhnt hat, vermag ohne Abscheu das Glas an die Lippen zu setzen.“

Zur Beschaffenheit des Hülenwassers schrieb Friedrich August Köhler im Jahr 1790: „Und wenn auch den übrigen Dörfern der Alb ihre Wasserbehältnisse nicht ganz vertroknen, so wird doch das Wasser darinn, besonders in denen weniger verwahrten Hülen für das Vieh, so durch die Sonnenhitze verdorben, und mit einer Haut aus Insecten und aus der Fäulniß entstehenden Pflanzen überzogen, daß es einem Thalbewohner dafür wie vor Sümpfen ekeln muß.“

Durch steigende Bevölkerungszahlen, eine Zunahme des Viehbestandes und mehr Handwerksbetriebe kam es seit Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem starken Anstieg des Wasserbedarfs. Trinkwasser wurde immer knapper, Krankheiten durch verunreinigtes Wasser bei Mensch und Tier nahmen zu. Auch der Wassertransport mit Ochsengespannen von den Karstquellen konnte daran kaum etwas ändern.

Dieser Notstand führte zusammen mit den technischen Möglichkeiten des beginnenden Industriezeitalters zur Entstehung der Albwasserversorgung. Der württembergische Ingenieur Karl Ehmann setzte mit Wasserkraft angetriebene Kolbenpumpen seit 1871 auch gegen Widerstände skeptischer Ortsvorsteher für die ganze Alb durch. Als Vorbild diente die bereits 1715 errichtete Wasserversorgung des Gestütshofes St. Johann.

Wasser bringt Aufschwung

Dass sich die Albgemeinden von den kostspieligen Plänen überzeugen ließen, gelang durch die Errichtung der heutigen Albwasserversorgungsgruppe ­„Untere Schmiechgruppe“, bestehend aus den Gemeinden Ingstetten, Jus­tingen und Hausen. Im Pumpwerk Teuringshofen gefiltertes Schmiechwasser wurde 190 Meter hoch zu einem Hochbehälter in Justingen gepumpt und mithilfe des natürlichen Gefälles auf die angeschlossenen Dörfer verteilt.

Das vom Staat finanziell unterstützte Projekt erwies sich als erfolgreich: Für 1320 Menschen konnte eine neue Lebensgrundlage geschaffen werden. Krankheitsfälle durch verseuchtes Wasser gingen zurück, die Viehbestände konnten erhöht werden, insgesamt kam es zu einem wirtschaftlichen Aufschwung und einer Steigerung des Lebensstandards. Nach demselben Prinzip und zum Teil mit Originalanlagen aus dem vorletzten Jahrhundert versorgen noch heute Wasserversorgungsverbände die Bewohner der Schwäbischen Alb mit sauberem Trinkwasser. Die einstigen wasserkraftbetriebenen Anlagen sind jedoch weitgehend verschwunden und wurden durch Elektromotoren ersetzt.

Weil im Kalkgestein kaum Filterung oder Pufferung von Schadstoffen stattfindet und sich außerdem die Verweilzeit des Wassers im Untergrund meist auf wenige Stunden bis Tage beschränkt, ist das Karstgrundwasser besonders empfindlich. Deshalb ist von Anfang an die Trinkwasseraufbereitung und Qualitätsüberwachung besonders wichtig. Darum werden die oft denkmalgeschützten Pumpwerke inzwischen durch modernste Anlagen ergänzt. Alte und neueste Technik arbeiten sozusagen Hand in Hand.

Michael Hägele. Foto: pr
Michael Hägele. Foto: pr