Zwischen Neckar und Alb

Metropole will ihre Grenzen überwinden

Politik Die Landkreise Esslingen, Leipzig und München tauschen sich regelmäßig über Probleme und Erfahrungen aus. Die Quintessenz vom jüngsten Treffen in München lautet: Zu viel Verkehr, zu wenig Wohnraum. Von Roland Kurz

Aufblasbare und mittlerweile überflüssige Notunterkunft im Kreis München. Foto: pr

Prosperierende Wirtschaftsregion, Bevölkerungswachstum, Wohnraummangel, kurz vor dem Verkehrskollaps - diese Attribute treffen auf den Raum Stuttgart ebenso zu wie auf München. Deshalb schätzen die Verwaltungen und Kreisräte der Landkreise Esslingen und München den Erfahrungsaustausch. Seit den 1990er-Jahren trifft man sich alle zwei Jahre mit dem Kreis Leipzig. Flüchtlinge, Jugendhilfe, Radschnellwege und die Entwicklung zur europäischen Metropolregion waren die Schwerpunkt-Themen beim jüngsten Treff in München.

Land in Sicht, heißt es bei der Unterbringung der Flüchtlinge in den Kreisen München und Esslingen. Der bayerische Kreis, der sich wie ein Hufeisen um die Landeshauptstadt legt, wird demnächst die letzte Notunterkunft, eine Traglufthalle, auflösen. Die Esslinger haben die Sporthallen wieder geräumt, aber noch zwei Zelthallen und mehrere Containersiedlungen. Der Kreis München hat 4 500 Flüchtlingen aufnehmen müssen, der Kreis Esslingen gibt derzeit 4 700 Flüchtlingen ein Dach überm Kopf. Als Erfolgsmodell preist Leonhard Schmid, Leiter des Geschäftsbereichs Asyl im Münchner Landratsamt, die stabilen Holz-Modulbauten mit bayerisch anmutendem Satteldach. Das habe die Akzeptanz durch die Bevölkerung erleichtert. Insgesamt nehmen die Esslinger den Eindruck mit, dass die Bayern manche Dinge etwas pragmatischer angehen.

Auch die Abrechnung mit dem Land scheint einfacher zu sein. Der Kreis hat die Unterkünfte beantragt, das Land genehmigte und zahlte. Der Kreis Leipzig hat derzeit 2 100 Asylbewerber untergebracht. Die Anschlussunterbringung sei nicht so brisant, sagte Landrat Henry Graichen, weil viele Privatwohnungen leer stehen.

Während im Kreis Leipzig der Bevölkerungsschwund erst 2014 zum Stillstand kam, und man sich nun über ein leichtes Wachstum freut, kämpfen München und Esslingen mit dem Zuwachs und seinen Folgen. Bis 2030 soll der Kreis München laut Bertelsmann-Stiftung von 340 000 Einwohnern auf etwa 380 000 wachsen. Der Haken: „Wir sind so prosperierend, dass wir mit Wohnraum nicht hinterherkommen“, so Landrat Christoph Göbel. Und trotz Zuzugs fehlen 37 000 Fachkräfte. Weil die Wohnungsnot im direkten Umkreis von München nicht zu lösen ist, setzt Göbel auf die Entwicklung zur Europäischen Metropolregion. Die reicht vom Ostallgäu bis ins Donauries und bis zur österreichischen Grenze. „Der überhitzte Kern will Druck loswerden und das Umland will was vom Kuchen“, sagte Göbel, als er mit dem Esslinger Landrat Heinz Eininger die Ausstellung „Metropolregion München - Macht mehr miteinander“ im Haus des Landkreises eröffnete. Unter der Regie von Wolfgang Wittmann, Geschäftsführer des Vereins Metropolregion treffen sich Vertreter von 27 Landkreisen und sechs kreisfreien Städten, um über Elektromobilität zu reden, über Kultur, Genießen mit regionalen Produkten oder Stadtplanung. Ein klares Ziel ist die Schaffung eines einheitlichen Tarifs für die neun Verkehrsverbünde.

Während der Münchener Landrat voller Stolz die Aktivitäten der Metropolregion preist, lässt Landrat Eininger seiner Unzufriedenheit freien Lauf: „Die Europäische Metropolregion Stuttgart gibt es nur auf dem Papier.“ Der Verband Region Stuttgart ist für ihn eine Fehlkonstruktion. Rund um die bayerische Großstadt hofft man wie im Neckartal und auf den Fildern, dass der ÖPNV künftig nicht nur aufs Zentrum ausgerichtet ist.

Gegen den Kollaps auf Straßen und Schienen planen die Münchener Radschnellwege - genauso wie die Esslinger. Man hat Korridore festgelegt und steuert nun auf ein Pilotprojekt zwischen Unterschleißheim und der Stadtmitte zu. „Wir wollen den höchsten Standard“, sagt Timo Siegmund, der Radverkehrsbeauftragte im Landratsamt. Das bedeutet: vier Meter Breite, Beleuchtung und möglichst wenige Kreuzungen. Das wird teuer. 2,5 Millionen Euro pro Kilometer. „Wir wollen für das Pilotprojekt 30 bis 35 Millionen Euro vom Bundesverkehrsminister - nicht weniger“, rammt Göbel einen Pflock rein. Die Esslinger schlucken angesichts dieser Summen. Immerhin kann Eininger aber verkünden, dass jetzt die Machbarkeitsstudie beim Land beantragt wird.

Dr. Marion Leuze-Mohr, Heinz Eininger, Christoph Göbel und Henry Graichen (von links) tauschten sich über ihre Landkreise aus.Fo
Dr. Marion Leuze-Mohr, Heinz Eininger, Christoph Göbel und Henry Graichen (von links) tauschten sich über ihre Landkreise aus.Foto: Roland Kurz